Silberarbeiten 21
Diesfeits der Alpen gehören alle befferen kirchlichen Silbergegenftände,
alle diejenigen, welche mit einer gewiffen künftlerifchen Abficht gefchaffen wor-
den, foweit fie für den katholifchen Gottesdienft beftfimmt find, einem der mittel-
alterlichen Stile an. Davon machten auf der Ausftellung nur einige franzöfifche
Arbeiten neben vielen mittelalterlichen die Ausnahme. Sonft folgten die belgi-
fchen, die öfterreichifchen, die rheinifchen und weftphälifchen, die Münchener der
gleichen Tendenz. Die höchft bedeutende kirchliche Goldfchmiedekunft des
Rheinlandes war freilich nur in fehr unzulänglicher Weife vertreten.
Unter den mittelalterlichen Stilen ift vorwiegend der gothifchein Uebung,
doch hat auch der romanifche, insbefondere um feines Emails willen (Zellen-
fchmelz wie Grubenfchmelz), viele Freunde gewonnen. Aachener Goldfchmiede
arbeiten in diefem Stil mit grofsem Glück und Gefchick. Der gothifche Stil wird
im Allgemeinen bei allen befferen und bedeutenderen Leiftungen mit ebenfo
grofsem Glanze wie entfprechender Richtigkeit geübt, und wie in Wien, wo
unter anderen die Architekten Schmidt und Lippert den Goldfchmieden zu
Hilfe kommen, fo gefchieht es auch anderswo. Es ift das Verftändnifs des gothi-
{chen Stils jetzt fo weit durchgedrungen, dafs man fich nunmehr an die gleichen
Vorbilder des Mittelalters hält, und nicht wie früher, an die fteinerne Ornamen-
tation der Kirchen. Es gab aber auch Ausnahmen von diefer Regel auf der Welt-
ausftellung, fo die für den billigen Bedarf gefchaffenen Geräthe der Rocken-
ftein’fchen Fabrik in München, welche durchgehends das fchwere geometrifche
Steinmafswerk mit Pfeilern, Säulen und Capitälen auf das Metall übertragen
hatten.
Da die kirchliche Goldfchmiedekunft in den einzelnen Ländern nur von
wenigen Fabrikanten geübt wird, fo waren es auch nur einzelne, die fie auf der
Ausftellung vertraten. Von Frankreich war es das Parifer Haus Pouffielque-
Rufand, welches eine aufserordentlich reiche und glänzende Colledtion zur
Anfchauung gebracht hatte. Diefe Arbeiten, die alle Geräthe bis zu den grofs-
artigften Reliquiarien umfafsten, waren bei weitem vorwiegend mittelalterlich,
und zwar erkannte man dabei das Beftreben, die Echtheit fo weit zu führen, dafs
alle Eigenthümlichkeit der Zeichnung, die des Stils fowohl, wie die der Unbe-
holfenheit Nachahmung fand. Dennoch beeinträchtigte die überaus ftarke Ver-
goldung, welche allzubreiten Raum einnahm, den alterthümlichen Eindruck.
Auch denjenigen Geiftlichen, welche noch nicht zum Gefchmacke für mittelalter-
liche Art durchgedrungen waren, hatte übrigens diefe Fabrik Rechnung getragen.
Eine Anzahl Gefäfse und Geräthe in echten Zopfformen oder mit verzopften
Ornamenten innerhalb reinerer Formen zeugte dafür.
Die bedeutende rheinifche Goldfchmiedekunft hatte, fo viel uns davon
erinnerlich, nur allein eine grofsartige filberne Monftranz in gothifcher Kirchen-
form von J. Simon in Trier auf die Ausftellung gefendet. Aus Weftphalen waren
W. Rentrop und Arnold Künne zu Altena erfchienen, beide mit einer
grölseren Serie von Gegenftänden, davon die meiften mittelalterlich waren,
obwohl weder die Gothik dabei befonders glücklich, noch. Effedt und Ausfüh-
rung von befonderer Feinheit. Auch Belgien hatte nur einzelne Gegenftände
gefendet, diefe aber mit befonderen künftlerifchen Anfprüchen, daher fie auch
in der Kunftausftellung ihren Platz erhalten hatten. Die Fabrikanten waren
A.Bourdon de Bruyne in Gent, der ein grofses romanifches Reliquiar in
Sargform gefendet, reich emaillirt und mit freien Figuren, und J. Wilmotte
fils in Lüttich. Letzterer zeigte ein frühromanifches Crucifix, etwa im Stil von
1100, die Chriftusfigur mit emaillirtem Schurz ganz in derfteifen unvollkommenen
Art jener Zeit gehalten, fowie einen frühromanifchen Kelch mit Filigran und
niederer Kuppe und noch einige wenige andere Arbeiten.
Genügend zur vollen Ueberficht der Art und Leiftungsfähigkeit des Lan-
des hatte allein auf diefem kirchlichen Gebiete Oefterreich oder vielmehr
Wien ausgeftellt.