90 Erſter Theil. Erſtes Buh. Die Hexenproceſſe in proteſtantiſchen Territorien.
nung bemerken. Das Auftreten von Thomaſius hatte daſelbſt in den
Köpfen gewaltig aufgeräumt, und war ſchon die Gefahr niht mehr ferne,
aus einem Extrem in das andere zu fallen, nämli< vom Aberglauben
in den Unglauben, Auch die Wahrnehmung muß fi jedem Unbe-
fangenen aufdrängen, daß in der freien Reichftant Schweinfurt e3 jehr
lange gedauert hat, bis Bildung, Humanität und wahre Rechtspflege
Aufnahme in der Bürgerſchaft fan den !),
Achtes Kapitel.
Die freie Reicſsſtadt Eßlingen.
Ueber Hexenproceſſe der ehemals reichsſtädtiſhen, jezt württem-
bergiſhen Stadt Eßlingen mit 10,009 proteſtantiſchen Einwohnern
hat Dr. DO. Pfaff in der Zeitſchrift für deutſhe Culturgeſchichte ?) auss
führliche Mittheilung gemaht. Soldan-Heppe ſchenkt dieſen Mittheilungen
ſeine Aufmerkſamkeit. Er beruft ſi< auf die Berichterſtattung Pfaffs über
die zu Eßlingen vorgekommenen Hexenproceſſe, um den Beweis zu liefern,
daß die proteſtantiſche Geiſtlichkeit in unzähligen Fällen der Verhafteten
ſi angenommen, auf eine humanere Behandlung hingewirkt, die Nichtigs
leit der gegen die Angeklagten vorgebrahten Jndicien und Zeugenaus-
ſage nachgewieſen und überhaupt der Hexenverfolgung entgegen gear-
beitet habe 3). Ein Bli> auf die genannten Veröffentlihungen wird den
Leſer vom Gegentheil überzeugen. Aus der. Einleitung heben mir fols
gende Stelle hervor: „Merkwürdiger Weiſe iſt dieſer (Hexen-) Proceß
niht die Ausgeburt jener Jahrhunderte, die man gewöhnlih für die
finſteren des Mittelalters hielt, ſondern ſeine Entſtehung und Ausbildung
fällt gerade in die Zeiten, in welden das neue Licht der Aufklärung
die frühere Geiſtesnaht zu dur<brechen begann, und weder die allge-
1) Chr. Thomaſius hat unter dem Titel: „Lhomaſiſ<he Gedanken und
Erinnerungen an allerlei gemiſchte philoſophiſche und juriſtiſche Händel“ in Halle
und Magdeburg 1723 vorſtehenden Proceß mit der Aufſchrift der Oeffentlichkeit
übergeben: „Ein ganz ungegrünbeter, bi8her unbekannter Hexen - Proceß und
und daraus entſtandener Colliſſion zweier collegiorum juridicorum.“ &. 391—668.
Die beiden Collegien ſind die juriſtiſchen Fakultäten zu Halle und Jena. Die Namen
find bier, wie üblich, aus Discretion verändert. Wir dürfen dieſe Jndiscretion
uns gefta tten. Î
2) Jahrgang I, 1856, S. 2653, 283, 347.
3) Soldan-Heppe, Bd. I, S. 231.