Erſtes Kapitel, Stellung der katholiſchen Kirche zur Folter. 141
wortet, bis er ſein Verbrechen geſteht, aber kein göttlihes oder menſ{h-
liches Geſey geſtattet dieſes; denn aus freien Stüden muß das Geftänd-
niß erfolgen, nicht gewaltſam ausgepreßt, ſondern freiwillig gegeben werden.
Jſſt dieſe Strafe einmal verhängt und ihr entde>t dann die Unfchuld des
Angeklagten, erröthet ihr da niht? Erkennt ihr da niht die Ungerechtig-
keit eures Urtheils? Und wenn ein Unglüd>licher, niht vermögend den
Qualen zu widerſtehen, fich für jehuldig bekennt, ohne es wirkli zu ſein,
auf wen anders fällt die Gottloſigkeit als auf denjenigen, welcher ihn zum
Bekenntniß der Lüge gezwungen ? Verwerfet daher und verdammt ſolchen
Gebrauch 1), “
Eine zweite Aeußerung im gleichen Sinne findet man in einem Schreiben
Gregors VIL. an Harald VIL. von Dänemark, wo jelbft Frauen wegen
Erregung von Seuchen und Unwetter in Verfolgung gerathen waren :
„Glaubet niht, daß es eu< zuſtehe, den nah unmenſchlicher Heidenſitte
verurtheilten Weibern Leides zu thun, ſondern lernt vielmehr dur< an-
gemeſſene Buße den Rihterſpruh einer göttlichen Vergeltung abzuwenden,
als daß ihr dur< gräulihes Wüthen gegen jene Unſchuldigen den Zorn
Gottes noch mehr über euch heraufbeſhwöret ?),“
Während das canoniſhe Recht ſo verfuhr und in Sriminalfällen die
Menſchlichkeit zu ſhühßen ſuchte, u. a. dur< das Aſylrecht 3), war auh
die Beweisführung über die verbrecheriſhe That mehr auf Zeugen und
Beweiſe als auf Jnquiſition und Folter baſirt. Das änderte ſi< im
Mittelalter zu der Zeit, al3 die greulichen Sebereien eine ſo gewaltige
Ausdehnung fanden. Das Verbrechen der Häreſie, als geiſtiger Zuſtand
gefaßt, hat das eigenthümliche, daß es latent ſein fann und jene Zeugen«
ſhaft und Beweisführung deshalb illuſoriſh ma<ht. Aus dieſem Grunde
und in Verbindung damit, weil das römiſche Recht ſ{hon mehr Geltung
gefunden hatte, wurde bei dem Jnquiſitionsverfahren gegen die Ketzer die
Folter zugelaſſen. Wie ſehr aber die Päpſte darüber wahten, daß mit
der Ausführung der Kezergeſeße, wie ſolhe z. B. dur) Friedrich den
Zweiten auf dem Reichstage zu Ravenna 1231 erlaſſen worden waren,
kein Mißbrau<h und keine Uebertreibung ſtattfinde, ergibt fi) aus der
Antwort Gregors IX. an die deutſche Geſandſchaft 1233, welche fich gegen
das ſtrenge Verfahren des JFnquiſitors Conrad von Marburg beſchwerte ;
„wir wollen niht, daß ſie länger ſtattfinden, ſondern erklären fie ganz
und gar für nichtig; folches Elend, wie ihr uns berichtet, geben wir
niht zu #).“
1) Santu, Weltgeich. Band 6, ©. 926—927.
2) Brief vom 19. April 1080 bei Jaffe, Monumenta Germaniae 415.
3) Hergenröther, kath. Kirche u. chriftlicher Staat 537.
4) Weiß Weltgeſchichte II[. 360.