Erſtes Kapitel. Stellung ver katholiſchen Kirche zur Folter. 153
Wenn vorſtehende Grundzüge bei Anwendung der Tortur allent-
halben und immer befolgt worden wären, dann hätte der Giftbaum der
Hexenproceſſe niht ſo emporſchießen können.
Doch auh in Deutſchland findet man beim Beginn des 17. Jahre
hunderts in dem „<urfürſtlihen Landrecht für Ober- und
Nieder-Bayern“ eine mildere und humanere Anweiſung zum Ges
brauche der Tortur. Der erſte Titel der Malefiz-Proceß-Ordnung han=
delt von Richtern und Gerichtsperſonen in peinlihen Sachen in 17
Artikeln. Der 9. Artikel gibt Anweiſung, wie ſi< der Richter vor der
Tortur zu verhalten habe. Nur bei ſ<hweren Verbrechen ſey ſie zuläſſig,
„damit die Tortur nicht ſhwerer ſey, als die Straf, die auf das Ver-
brechen geſeßt wäre.“ Die Tortur ſei nur Morgens erlaubt, niemals
gegen Kinder unter 14 Jahren, nicht gegen alte Leute von 60 oder 70
Zahren no< überhaupt gegen ſhwache, fränkliche Leut. Nicht geſegnete
oder ſtillende Frauen , no< ſtumme no< taube. Jm 10. Artikel wird
geſagt: Jnsgemein ſoll die Tortur ſo beſchaffen ſein, daß der Beſchuldigte
an ſeinen Gliedern und Geſundheit unverleßt bleiben möge, es ſeyen
zwar von Rechtsgelehrten einige verſchiedene Grade der Tortur, jchärfere
oder ſ<hwächere, angenommen ; weil aber Perſonen, Umſtände und Uebel
thaten, verſchiedenartig ſeyen , ſo würde ſolches in die Beſcheidenheit des
Richters geſetzt, der je nah Umſtänden fchärfer oder milder zu verfahren
habe. Auch ſoll der Richter bei der Tortur bleiben und auf den Gefol-
terten fleißig Acht geben, wann und wie er ſeine Geſtalt verändere,
leiht oder hart leide, mährenddem nichts Anderes thun, au<h fih nicht
entfernen. Der 12. Artikel behandelt die Frage, ob und warn auf Mite
\{uldige gefragt werden möge. Hat der Gefangene ſeine eigene Mifjethat
bekunnt, ſo iſ es erlaubt und in ganz Deutſchland Gebrau<h, nad) dem
Mitſchuldigen zu fragen. Doh ſoll man allgemein und niht auf eine
einzelne Perſon fragen, mas dem Recht zuwider wäre. Jm 13. Artikel
wird gefragt, ob die Tortur wiederholt werden dürfe. Es wird bejaht,
doch gebühre hierin ein beſcheidener Gebrau<h. Würde ein Bekenntniß
nah der Tortur widerrufen mit dem Vorgeben, es ſey aus Pein erfolgt,
jo darf man nochmals torquiren. Bleibt er bei der Leugnung, ſo ift
er freizulaſſen. Am Freitag ſoll nie torquirt werden !).
1) Landrecht, Polizey-Gerichts- und Malefiz- und andere Ordnungen der
Fürſtenthumben Obern und Nidern Bayern. München 1616. Die Vorrede be-
merkt , daß die in Rede ſtehende „Malefiz- und Polizeiordnung“ eine
Ergänzung der Carolina ſein ſolle, welche den peinlichen Proceß auf Grund des
Vorhandenſeins eines Anklägers baſirt habe, daß aber nunmehr in ganz Deutſch-
land der Proceß von „Amtswegen“ eingebürgert ſei. Um die vielen Willkür-
lihkeiten der Richter und örtliche Mißbräuche abzuſchneiden, ſei dieſe Ergänzung
der Carolina nothwendig geworden.