I, Die Erflärungsverfuche, 175
eine ſtarke Hinneigung des Volkes zum Glauben an übernatürliche und
ſelbſt dämoniſche Einwirkungen hervortrat.
Auch der gläubigfte Chriſt, wenn er von ſ{hre>lihen Heimſuhungen
überfallen wird, deren Abwendung kein Gebet, kein gutes Werk zu bewirs
fen vermag, wird der Gefahr ausgefegt, fi) von Gott ab- und dem Sa-
tan zuzuwenden.
Wie das fur<tſame Kind zur Nachtzeit Schre>geſtalten ſieht : ſhwar-
zen Hund, feurigen Mann, glühenden Gegenſtand; wie der Fieberkranke
Dinge hört unv ſieht, die nirgends exiſtiren als nur in ſeiner Phantaſie,
ſo hat in jenen aufgeregten Zeiten, namentlih im 17. Jahrhundert, als
Krieg, Peſt und Hungersnoth herrſ{hten , die Phanthaſie des Volkes ſi
erhizt und überall dämoniſche Einwirkungen gewittert. So erklärt es
ſih, daß gerade in der Mitte des 30 jährigen Krieges der Hexenwahn
ſeinen Höhepunkt erreichen konnte. Aehnliche Erſcheinungen traten 1870
und 1871 hervor, indem die aufgeregte Volksmaſſe an übernatürliche Er-
\heinungen zu glauben geneigt war, wie z. B. in Elſaß, Marpingen,
Dietrichswalde. Nur waren es keine dämoniſchen Einflüſſe, an die man
bier glaubte. Anders aber in jener Periode, in welder unſer deutſches
Volk die unfägliäften Drangſale und die ſ{re>li<hſten Plagen, wie die
Hungerjahre 1626 und 1628, erleben mußte; 1626 war am Pfingſtfeſte
Alles erfroren. Nicht vermögend, ſolche Prüfungen dem allgütigen Gotte
zuzuſchreiben, hielt man dafür, daß ſie vielmehr des Teufels Werke ſeien,
als deſſen Werkzeuge die Hexenmeiſter und Zauberinnen angeſehen wur-
den. Wie eine pflichtgetreue Obrigkeit es als ihre erſte Aufgabe anſah,
dem Treiben des allgemein ſ{hädlichen Hexenweſens entgegenzutreten, das
zeigt uns das Schreiben des Magiſtrates zu Gelnhauſen an den Rath
der freien Reichsſtadt Frankfurt a. M. vom 4. März 1629, Frankfurter
Neujahrsblatt 18741).
Es iſ gar niht zu verwundern, daß in jener Zeit geiſtig und leib-
lich demoraliſirte Menſchen aus Verzweiflung ſi< dem Satan verbinden
wollten, ihm ſih zu verſchreiben begehrten, falls er ihnen Hilfe zu
bringen bereit wäre. Die malitia hominis kann ſo weit gehen, und iſt
oftmals ſo weit gegangen, Hilfe beim Satan zu holen, um ſih gleihſam
1) „Euer Weisheit werden ſih zu entſinnen wiſſen, wel<hermaßen bei jeßigem
hochbeſhwerlichem Kriegsweſen gemeine Bürgerſchaft nicht allein vielfältig beſchwert,
ſondern auch vergangen Jahr über mit einem ſehr geringen Weingewächs ſampt
andern Baums und Feldfrüchten ſeie geſegnet und begabt worden, um welches faſt
Jedermann zu großer Ungeduld bewogen auch in äußerſte Armuth verſeßt, man
cher au< deßwegen in Kleinmüthigkeit, ja dur< Getrieb des böſen Feindes in
Verzagung fallen ſollte.“ 2c, S. 36.