Full text: Der Hexenwahn vor und nach der Glaubensspaltung in Deutschland

Erſtes Kapitel. Der neue Baum der Erkenntniß des Guten und Böſen. 247 
liebgewonnen wegen der Schönheit und Vollendung der Form, ſo währte 
es niht lange, und man liebte und überſhäßte den Jnhalt. Nament- 
ih muß betont werden, daß die ſpäteren Humaniſten die alten Mythen, 
die Götterlehre, Sitten und Leben der Alten höher ſtellten, als die riſt- 
lichen Geſtaltungen und Schöpfungen des Mittelalters, ja höher als das 
Chriſtenthum ſelbſt. Die nächſten Früchte einer ſolhen Ueberſchäßung 
heidniſcher Cultur und heidniſcher Wiſſenſchaft zeigten ſih in der Ueber- 
handnahme geheimer und zauberiſcher Künſte, wie ſie namentlih in den 
Kreiſen der Gebildeten und Gelehrten im 16. Jahrhundert in Erſchei= 
nung traten. Die Philoſophie löſte fih auf in Aſtrologie , Nekromantie , 
Chiromantie und Magie. Die Theologie artete aus in Theurgie. So 
iſt es begreiflih, daß der Glaube an Zauberei und Magie noh im 16. 
und 17. Jahrhundert in allen gebildeten Ständen, bei Aerzten, Juriſten, 
Philoſophen, Theologen, zahlreihe Anhänger und Bertheidiger fand!). 
Doch auth das gemeine und niedere Volk wurde dur die neue Kunſt 
der Bühervermehrung geiftig ergriffen. Die Buchdru>er hatten bald den 
Geſhma> der gewöhnlichen Leute gefunden und demna< ihre Waare 
präparirt. Zahlreih waren die Werke gegen Ausgang des 15. und beim 
Beginn des 16. Jahrhunderts , welhe Sagen, Mährchen , Wunderge= 
\hihten, aber auch geheime Künſte und Zaubereien lehrten. 
Wir wollen einen Zeitgenoſſen hören, Heinri<h Cornelius 
Agrippa. Er berichtet in feinem Yuche „De vanitate etc.« hinfiät- 
li der abergläubifhen Schriften und Bücher: „Aus dem Morafte ber 
Zauberer find herborgelommen alle jene Bücher der Yinfterniß, die ber 
Rechtsgelehrte Ulpianus als jhlechte Lektüre bezeichnet, welche durhaus 
zu vernichten find. Das erſte derartige Buh ſoll ein gewiſſer Zabulus 
ausgedacht haben, der fih mit unerlaubten Künſten abgab ; dann ein 
gewiſſer Barnabas aus Cypern ; und auch heute no curſiren ſolche Shhriften 
unter erdihhteten Titeln und Namen , z. B. des Adam, Abel, Eno, 
Abraham, Salomon, Paulus, Honorius , Cyprian , Albertus, Thomas, 
Hieronymus. 
Jhren Träumereien ſind thörihter Weiſe gefolgt Alphons, König 
von Gaftilien, der Engländer Robertus, Bacon und Apponus und viele 
andere beklagenswerthe Geiſter. Außerdem ließen ſie niht nur Menſchen 
und Heilige und Patriarhen und Engel Gottes die Urheber ſo unſeliger 
Lehren ſein , ſondern ſie zeigen ſogar Bücher, die von Raziol und 
Raphael, den Engeln des Adam und Tobias, herrühren ſollen. Jedoch) 
1) Soldan - Heppe II, 8354 zählt zur Erklärung des in Europa emporges 
ſchoſſenen Aberglaubens in erſter Linie „die römiſche Literatur“, Richtiger wäre 
wohl die „heidniſche“ oder ſog. „klaſſiſche“ Literatur. 
  
  
 
	        
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