Full text: Der Hexenwahn vor und nach der Glaubensspaltung in Deutschland

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Viertes Kapitel. Die „inficirte” Jugend. 51 
auf. Reiche berichtet : „Von einem Juriſten, welcher feiner Zeit Deutfche 
land bereiſt hat, der ſelbſt Gericht8aſſeſſor war und allen Glauben ver- 
dienet, habe er vernommen, daß oftmals gegen Perſonen das Verfahren 
eingeleitet wurde, wie in Sachſen und Schweden, gegen welche kein an- 
deres Jndicium vorlag, als die phantaſtiſche Ausſage von Knaben von 
ganz jungem Alter. Gegen ihr, der Juriſten Bedenken, hätten die Theo- 
logen obgeſiegt, mit der Behauptung, Gott laſſe niht zu, daß die Kleinen 
lügen nah den Worten des Pſalmes: „Aus dem Munde der junger 
Kinder und Säuglinge haft du dir eine Macht zugerichtet, daß du vertilgft 
den Feind und den Rachgierigen.“ Endlic nahdem viele unſchuldige 
Perſonen auf der Kinder Ausfage Hin verbrannt worden, denuncirte ein 
Knabe einen ſehr a<tbaren Mann. Die weltlichen Richter verſprachen 
dem Knaben einen halben Thaler, ‘wenn er einen andern anzeige. Der 
Knabe ging darauf ein, und ſo wurde ſein Lügenhandwerk aufgede>t, 
zur Beihämung der Theologen. Spißelius ma<ht eine Ausnahme, in- 
dem er dieſen Proceß aufgenommen hat, um das Gegentheil zu beweiſen 1). 
Auch gegen Ende des 17, Fahrhunderts fpudte es no< in den 
Köpfen der Jugend zu Wertheim. Nach der dortigen alten Kapuziner- 
<ronif verſtand es ein Knabe ſi<h einen Namen zu machen. 
(Fr gab vor dur< einen Engel in den Himmel entführt worden zu 
ſein, und zum Beweis ſeiner Ausſage zeigte er ein Ei vor, das ihm 
Gott der Vater gegeben. Der Junge predigte und prophezeite und fand 
Gläubige in großer Menge, darunter nicht wenige proteſtantiſche Prediger. 
Shlieglid) wurde die ganze Sache als Betrügerei entlarvt, und der Be- 
trüger ſelbſt erhielt eine gehörige Traht Prügel als wohlverdienten 
Lohn 2), 
1) Reiche, Theses inaugurales S. 33. Von einer großen Kinder-Epidemie 
in Salm Soldan:Heppe II. 39. 
2) Dr. A. Kaufmann, I Bd., Beiträge zur deutfchen Culturgefchichte. 
Ein ähnliches Verkommniß berichtet Sanfen IV. 225 von einem Geifterjeher 
Hans Taufendihön in Sundhaufen. Daß in Sübbeutfchland Kinder und zwar 
die Schuljugend im Hexenwahn befangen war, darüber berichtet die vorgenannte 
Zeitſchrift Jahrg. 1856, ©. 351. Jn Schweden ergriff eine ſolche Geiſtes- 
Epidemie 300 Schulkinder zu Mora. Hierauf bezieht ſih die obige Bemerkung 
Neiche’S. Ueber Schwelgerei in Wertheim ©. 312. ©. Kaufmann in Ztich. f. d. C. 
  
  
 
	        
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