Full text: Der Mainzer Dom und seine Denkmäler (1. Band)

  
dreißiger Jahre des 13. Jahrhunderts heran- 
gezogen wurde, um dem eben neu herge- 
stellten Dom die letzte Vollendung zu geben. 
Von ihm (und seinen Leuten) stammen ein 
paar Portale im Westchor (Tafel 25f.), die 
die vollkommene Beherrschung des Glieder: 
apparates und des Laubwerkes der französ 
sischen Hochgotik verraten, ferner einige 
Gewölbeschlußsteine, vor allem aber zwei 
Lettner, die einst — sie sind leider längst 
verschwunden — so den Ost= wie den West: 
chor vom Langhaus abtrennten. Zum Ost- 
lettner gehörten die beiden Säulen — davon 
die eine mit einem Atlas — im Kreuzgang, 
sowie einige Bautrümmer (Kapitelle usf.) 
und sonstige Bruchstücke ebenda und ım 
Dom-Museum (Tafel 39f. und Abb. 13, 15). 
Zum Westlettner der Christus — Weltrichter 
zwischen Maria und Johannes, jetzt im Bogen- 
feld des Südost-Portals am Dom (außen), 
12. Oberkörper des Christus aus dem Weltgericht des oe ı nn ee 
Westletfriere dammten im Kreuzgang (Tafel 32—38 und 
Abb. 12, 14). Alle diese Bildnereien haben 
Beziehungen zur Plastik der Reimser Kathedrale: sie sind geschaffen von Meistern, die ver: 
mutlich unmittelbar aus Reims kamen, aller Wahrscheinlichkeit nach noch vor 1239, d. h. vor der 
Domweihe. Dabei interessieren die Überreste des Westlettners am meisten: dieser Lettner muß 
dem bekannten Naumburger Westlettner sehr ähnlich gewesen sein, und längst ist die These aus- 
gesprochen, daß wir in dem zugrundegegangenen Mainzer Lettner ein frühes Werk des großen 
Naumburger Meisters selber zu erkennen haben. Wirklich stimmen nicht nur dekorative Einzel» 
heiten überein, vor allem ist die Anordnung der Figuren — zwei Pläne, die Gestalten der Vorder: 
reihe so gut wie vollplastisch — dieselbe; weiter finden sich in der Bildung der Körper, in der 
Energie der plastischen Behandlung der Köpfe, in Haltung und Bewegung, in den Typen und in 
der Gewandbehandlung so viele bezeichnende Ähnlichkeiten, ja Übereinstimmungen, daß die An- 
nahme der gleichen Hand unabweisbar scheint. Nur ist in Naumburg alles noch entschiedener, 
großartiger, reicher: der Mainzer Lettner ist die frühere Arbeit. Neben den Stücken, die mit Sicher: 
heit auf den zugrunde gegangenen Westlettner bezogen werden können, sind aber im Dom, wie 
gesagt, noch andere erhalten, die teils mit Sicherheit, teils mit Wahrscheinlichkeit einem ebenfalls 
vernichteten Ostlettner angehört haben. Unter ihnen beansprucht der Kopf eines Mannes mit einer 
Binde das lebhafteste Interesse. Schon gegenständlich: ist es der Kopf eines Propheten? Wie ist 
dann der Ausdruck des Schmerzes im Gesicht zu erklären? Und ist es kein Prophetenkopf, was 
dann? Ferner: kann der Kopf von dem Meister des Westlettners, von dem „Naumburger“ sein? 
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