Full text: Der Mainzer Dom und seine Denkmäler (1. Band)

  
zeigt, wie gegenüber den letzten Denkmälern des weichen Stils das 
eigentlich plastische Leben in dieser Bildnerei wieder erstarkt ist. 
nd daß wirklich die Mainzer Plastik der achtziger und neunziger 
U nicht so sehr malerisch gesonnen, als auf die Gestaltung 
körperlichen Gehalts aus ist, das beweist nun glänzend die Art und 
Kunst des Meisters, der offenbar in jenen Tagen der führende Mann 
in Mainz war, des Meisters des Adalbert-Denkmals im Dom (Tafel 89 
bis 92). Ihn zeichnet ein starker Sinn für Architektur aus. Man be- 
obachte, wie er auf dem Weg, den schon der Meister des Dieter von 
Isenburg beschritten hat, weitergeht. Die Unterordnung des Unter- 
baues, der Seitenfiguren, des Baldachins unter die Hauptgestalt ist 
noch weiter gebracht. Und wie streng ist das Ganze gebaut und ge- 
gliedert! Ich will nicht lang und breit von dem System der Senk- 
rechten und Wagrechten reden, das in dem Denkmal lebendig ist, 
und dem sich aller bildnerische Gehalt so vollkommen einordnet. 
Nur von der Hauptfigur soll noch einiges gesagt werden. Die Mittel- 
linie, die durch das ganze Denkmal geht, oben durch die mittlere 
Fiale des Baldachins, unten durch den streng symmetrischen Aufbau 
der Wappen- und Engelgruppe und durch die Spaltung des mittleren 
Wappens ausgesprochen, diese Mittellinie geht auch mitten längs 
durch die Figur, und ihre beiden Hälften halten sich genau das Gleich- 
gewicht. Keine starre Symmetrie ist da — selbstverständlich. Aber 
Gleichgewicht; und auch hier die stille, aber entschiedene Herrschaft 
eines Liniensystems, das alle lebendige Form, alle krause Gewand- 
willkür in sein unerbittlich festes, ganz einfaches Gefüge einfängt. 
Man beachte die geraden, steilen Schrägen des seitlichen Umrisses, 
die Horizontalen unter und über der Mantelschließe (Halsausschnitt 
und Humerale), den symmetrischen Aufbau des Gesichts! Diese 
Strenge des Baues und der Gliederung verbindet sich mit einer über: 
legten und gewollten Vereinfachung im Leben der Oberflächen und 
mit starkem körperlichem, kubischem Gehalt der Gebilde. So erreicht 
der Meister dieses Werkes eine monumentale Wirkung, wie sie seit 
as dem 13. Jahrhundert der Plastik nicht wieder zuteil geworden war, 
18. Christus von der Grablegung und wie sie auch in dieser Zeit, ja im ganzen 15. Jahrhundert höchst 
selten spürbar wird. Man kann diese Beobachtungen an den Werken 
unseres Meisters fortsetzen. Auch die Grablegung (Tafel 94ff. und Abb. 18f.) ist beherrscht von 
dieser strengen Architektur (beachte den geschlossenen regelmäßigen Umriß; die strenge Symmetrie 
der Trauernden wie der Wächter unten; die senkrechte Teilungslinie in der Mitte, die durch den 
Oberkörper des mittleren Wächters, die Hand Christi, durch Maria geht; wie Johannes der leichten 
Abbiegung der Maria das Gegengewicht hält usw.). Und selbst die Grabplatte des Dekans Bern» 
hard von Breidenbach gehorcht dem tektonischen Gesetz (Tafel 81 und 99). Sucht man noch nach 
  
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