Full text: Der Mainzer Dom und seine Denkmäler (1. Band)

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kapelle dort — bedingte, daß er sich helfen 
lassen mußte. Er fand in Nikolaus Dickhart 
einen zwar nicht gerade feinfühligen, aber 
anpassungsfähigen und geschickten Ges 
nossen. Dickhart hat nicht nur ganze Teile 
der großen Werke Junckers nach dessen 
Entwürfen ausgeführt, er hat ihn auch mit 
mehr oder weniger Geschick selbständig 
kopiert — wie er vordem Erhard Barg nach- 
geahmt hat. So ist es denn nicht ganz ein- 
fach, die authentischen Arbeiten Junckers 
aus der Gesamtsumme aller der Stücke, die 
hier in Betracht kommen, herauszufinden. 
Aber wie immer: der eigentlich schöpferische 
Geist, der die Art und Kunst der ganzen 
Gruppe bestimmt, ist ganz gewiß Johannes 
Juncker. Und die Züge, die sein Schaffen 
charakterisieren, lassen sich unschwer als 
ebenso neu wie eigenartig erkennen: deutlich 
sondert sich sein Werk von allem Vorangegangenen ab. Das Denkmal der Familie von der Gabelentz 
mag als Gegenbeispiel dienen (Tafel 145). Da ist die Architektur gewiß auch nur Gehäuse und 
Rahmen, aber doch ein an sich vollkommenes Ganzes. Man kann die Figuren herausnehmen, es 
bleibt eine sinnvolle Architektur zurück. Und so auch die Figuren: sie sind Bilder eines körperlich 
festen, in sich ruhenden Seins, das sich auch in einer anderen Umgebung noch restlos ausspricht 
und klar behauptet. Das wird jetzt anders. Die Architektur — als Umrahmung einer Einzelfigur so 
gut wie als Schauplatz im Relief — gibt den festen tektonischen Zusammenhang auf. Sie wird zur 
rahmenden Dekoration oder zur Bühne, deren Kulissen und Versatzstücke ganz willkürlich zu- 
sammengebaut sind — wie auf dem Theater. Aber auch die Figur verzichtet auf die Geschlossenheit 
einer in sich ruhenden Existenz: sie wird Teil eines Ganzen und tritt in lebhafte — formale wie 
geistige — Beziehung zu ihrer Umgebung, selbst da, wo die Aufgabe und eine alte geheiligte Über- 
lieferung ihr Fürsich-sein zu fordern scheinen (Tafel 154r). Dabei nimmt die Summe des Figürlichen 
in diesen Werken zu: auch wo bisher das Ornament geherrscht hat, erscheinen Figuren oder we- 
nigstens Köpfe: Juncker dekoriert mit Figuren. Alle diese Gestalten haben aber gegenüber denen des 
16. Jahrhunderts ein neues Leben. Sie sind nicht nur viel bewegter — auch die Tugenden gesti- 
kulieren lebhafter, ja sie drehen und schwingen sich, sie tanzen geradezu (Tafel 157 und 163), 
von den Putten nicht zu reden —, vor allem sind sie leidenschaftlicher erregt. Überall spricht eine 
starke Empfindung, heroisches Gefühl, Pathos. Aber freilich: diese Stimmung kommt nirgends 
zu eigentlich entscheidender Wirkung. Nicht nur, weil der Maßstab der Figuren klein genommen 
ist — ich komme darauf gleich zurück —, sondern vor allem, weil diese Zeit und darum auch 
diese Kunst tragisches Pathos mehr spielt, als wirklich empfindet. Man fühlte und erkannte die 
formale Bereicherung wohl, die die neuen Gesten, der neue Ausdruck der Darstellung der 
  
23. St. Martin vom Denkmal des Propstes Georg von 
Schönenburg 
5 Kautzsch, Mainzer Dom 33 
  
  
  
 
	        
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