desjelben gilt, daß alles, was deutjch fühlte und dachte, fi
von der verwelichten alten [Lehre abwandte. Aber wie konnte |
es geſchehen, daß eine ſo überwiegende Majorität fi) von einer
ſo geringfügigen Minorität ſchlagen und unterdrü>en ließ, wie
es im Schmalkaldener Kriege und nachher geſhah? An phyſiſchem
Muthe hat es jener damals ſo wenig, wie zu irgend einer Zeit
unſerem Volke gefehlt. Warum aber dieſe wehmüthigen Klagen,
dieſes duldende Harren, dieſe kummervollen Seufzer nah Hülfe
des himmliſchen Herrn, da man doch ſelbſt fich vecht wohl hätte
helfen können? Der äußerlihe Pragmatismus der Zeitläufe
liegt ſo klar vor, daß es ſehr leiht ift, zu demonftriven, mweg-
halb die Schmalfadener gefchlagen werden mußten und der
Katjer: Sieger blieb. Aber damit ift nichts gewonnen. Denn
hinter dieſen nächſten Gründen, die jedes Kind verſtehen fann,
liegt wieder ein anderer dunkler Hintergrund, woran aller land-
läufige Pragmatismus zu Schanden wird.
Es iſt leiht zu ſagen, man hätte weniger beten und beſſer
die Arme regen ſollen, dann würde es anders gekommen ſein.
Aber die engliſchen Puritaner haben jedenfalls no< mehr gebetet
und geſungen, als die Frömmſten unſerer Landleute von damals,
und e3 würde fich übel mit der gejchichtlichen Wahrheit vertragen,
wenn man behaupten wollte, daß fie dadurch irgendwie zu Furz
gekommen ſeien. Wenn unſere deutſchen Proteſtanten dieſelbe
Sicherheit und Freudigkeit des Gewiſſens gehabt hätten wie
jene, ſo würden fie jedenfalls ebenſo gefochten und geſiegt haben,
Aber dieſe fehlte, weil man na< angeborener, volksthümlicher
Art zu viel reflektirte und darüber das Gemüth und das Ger
wiſſen in Zweifel und Unſchlüſſigkeit verſezte. So ging man
mit halbem Herzen in den Kampf. Das Gewiſſen gebot, für
das gereinigte Evangelium Gut und Blut zu opfern, aber es
verbot auch, gegen die Treue, die man dem Kaifer fchuldete,
zu handeln. Luther ſelbſt iſt über dieſes Dilemma nie hinweg
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