Full text: Kunsthandwerk und gesunder Menschenverstand

  
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denn wenn ich mir hundertmal einen Atlas oder Herkules unter 
dieſer Figur vorſtelle, jo kennt doh die ganze Mythologie 
nirgendwo einen Halb-Atlas oder Halb-Herkules. Auch dieſes 
ſcheinen einige Stuccateure eingeſehen zu haben. Sie ſannen 
auf Abhülfe und ſind dabei auf eine Idee gekommen, die no< 
poſſirlicher iſt, als das bisherige. Sie verlängerten den halben 
Herkules nah unten und ſchufen ihm irgend einen phantaſtiſchen 
Unterleib, gegen den ih gar ni<hts würde einzuwenden haben, 
wenn ſie ihm etwa einen Filchichwanz gleich den alten Tritonen 
als Unterleib gegeben hätten. Aber was haben die biederen 
Stuccateure aus ſeinem Unterleib gemaht? Ein langes nah 
unten jpib zulaufendes Trapez, welches ſie mit Ornamenten 
verziert habeni Es iſ} das eine ganz neue Sorte von Weſen, 
die freilich noch nie dageweſen ſind. Ein Träger, der aus 
einem verzierten Stü>k Stuck oder Sandſtein und einem halben 
Menſchen beſteht. * Doch die Stuccateure waren noch erfinderiſcher. 
Sie jahen vermuthlich auch bei dieſer Erfindung das Unzuträg- 
liche ein und löſten nunmehr das ſ<hwierige Problem endgültig. 
Hier haben Sie die endgültige Löſung vor ſi<h (Abbildung 1). 
Sie ſehen hier den halben Mann als Träger, und nun ſage 
mir noh einmal einer, daß der keinen Stüßpunkt habe. Der 
ſteht doh auf éiner zwar ärmlih ausſehenden, aber hoffentlich 
um ſo feſteren Säule, Solcher aus einer Säule hervor- 
wachſender Träger können Sie eine große Zahl bei einiger 
Aufmerkſamkeit in unſerer Stadt entde>en. Leider müſſen wir 
dem erfindungsreichen Stuccateur hier wieder ſagen, daß wir 
auh mit dieſer Löſung nicht zufrieden ſind, denn eine Säule 
  
* Sch bitte ſehr, dieſe Stuccateur-Erfindung niht mit den ſchönen 
Renaiſſance-Karyatiden zu verwechſeln, die entweder völligen Raum für 
die untere Hälfte des Trägers in ihrer Verfleidung bieten, oder den Träger 
als Herne bilden. Vgl. 3. ©. Meyer, Handbuch der Ornamentik. 1890?. 
©. 266 ff, 
(703) 
  
	        
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