402 Abbe, optische Hülfsmittel der Mikroskopie.
typischer Structurformen, welche sehr vielen Gebilden von sonst ganz
verschiedener Beschaffenheit gemeinsam zukommen. Denn das mikro-
skopische Bild stellt in solchem Falle diejenige Structur dar, deren ge-
sammter Beugungseffeet mit dem centralen Theile des wirklich vor-
liegenden Beugungsphänomens gegeben wäre. Dieser dem Mikroskop
allein zugängliche centrale Theil ist aber nothwendiger Weise identisch
für ganz verschiedene Gebilde, welche in den entfernteren Zonen des
Diffractionsbüschels sehr ungleichartige Vertheilung des abgebeugten
Lichtes ergeben würden. Alles, was man z. B. an den feineren Dia-
tomeenschalen sieht, deren Detail unter ein paar Tausendstel des Milli-
meters herabgeht — die bekannten Streifensysteme und Felderzeich-
nungen — gehört ausnahmslos in diese Classe der typischen Bilder,
welche, direct beobachtet oder photographisch aufgenommen, nichts
Anderes als grobe Schemate von der Structur dieser Objecte liefern
und in ihrem Detail keinerlei Aehnlichkeit mit deren wirklicher Be-
schaffenheit zu haben brauchen.
Hiernach ist denn der Oeffnungswinkel des Mikroskops dasjenige
Element der Construction, durch welches der Abbildungsprocess in
seinen Grundbedingungen beeinflusst wird. Seine Grösse bestimmt die
absoluten Maasse, bis zu welchen herab körperliche Gebilde noch eine
vollständige, d. h. der Beschaffenheit der Objecte conforme Abbildung
zulassen; und wo eine wirkliche Conformität durch die Kleinheit der
Dimensionen unmöglich gemacht ist, bemisst sich nach dem Oeffnungs-
winkel der grössere oder geringere Grad der Aehnlichkeit, der bei je
einer bestimmten Kleinheit der Theile noch erwartet werden darf. Die
ganze Capacität des Mikroskops als Organ der wissenschaftlichen Beob-
achtung hat demnach ihre Wurzel in der Function des ÖOeffnungs-
winkels.
Die mathematische Theorie führt durch sichere Schlüsse zu einer
exacten Formel, nach welcher diese Function auch quantitativ fest-
gestellt wird. — Die Winkelausbreitung der gebeugten Strahlen ist,
unter sonst gleichen Umständen, bestimmt durch das Verhältniss zwischen
den linearen Maassen der Theile des beugenden Gebildes zur Länge der
Lichtwellen je einer gewissen Farbe innerhalb des Mediums, in welchem
dieses Gebilde vorausgesetzt wird, und zwar giebt obiges Verhältniss
(als Quotient berechnet) unmittelbar die Sinus der Beugungswinkel.
Die Wellenlänge in irgend einem Medium aber ist, verglichen mit der-
jenigen im leeren Raum, dem Brechungsindex des Mediums umgekehrt
proportional. Hieraus folgt nun, dass die Capacität des Mikroskops
in Hinsicht auf die Abbildung bestimmter Dimensionen einerseits pro-
portional ist dem Sinus des halben Oeffnungswinkels, andererseits aber
dem Brechungsindex des Mediums, auf das sich der Winkel bezieht.
Sie findet ihr genaues Maass demnach in dem Product dieser beiden
Zahlen, dessen Werth für jedes Objectiv man füglich als seine „nume-