Full text: Die städtischen Strassen (Band 1, 1. Heft)

einwirken, und wie ferner die Anlage der öffentlichen Plätze zum größten Teil nach 
ästhetischen Rücksichten zu erfolgen hat. Damit sind jedoch die Anforderungen, 
welche die Aesthetik an die Anlage von Straßen zu stellen berechtigt und verpflichtet 
ist, noch nicht erschöpft. Vielmehr haben sich dieselben auf alle diejenigen Ein- 
richtungen auszudehnen, welche auf der Straße ihren Platz haben, so beispielsweise 
auf Einfriedigungen aller Art, auf Anschlagstafeln, Beleuchtungsanlagen, Bedürfnis- 
anstalten, öffentliche Uhren, Wettersäulen, Verkaufsbuden u. s. wi: 
Je feiner der künstlerische Geschmack ist, nach dem alle Gegenstände des 
Straßenbaues behandelt werden, je sorgfältiger und liebevoller auch die 
unscheinbarsten Einzeldinge behandelt werden, desto wohlthuender ist 
der allgemeine Anblick, den eine Stadt gewährt. Der Laie empfängt diesen Eindruck, 
ohne sich darüber klar zu werden, wodurch er eigentlich hervorgerufen wird; der 
Fachmann sieht bald, daß überall ein zielbewußtes künstlerisches Streben neben der 
Schaffung praktischer und zweckmäßiger Einrichtungen gewaltet hat. Wir werden 
später noch weiter im einzelnen sehen, in welcher Weise auch bei den scheinbar 
so trockenen und starren Einrichtungen des eigentlichen Straßenbaues Schönheits- 
rücksichten obwalten können und müssen. 
Schlussbetrachtungen. 
Eine allgemeingültige Abstufung in der Bedeutung aller einzelnen, im vor- 
liegenden Abschnitte aufgezählten und näher behandelten Grundsätze für die Anlage 
von städtischen Straßen und Plätzen läßt sich, wie dies schon eingangs hervor- 
gehoben wurde, nicht aufstellen. Eine solche Wertigkeitsskala würde aber auch für 
die Praxis wohl nur von geringer Bedeutung sein. 
Allerdings ist in der Litteratur**) beispielsweise lebhaft darum gestritten worden, 
ob den Verkehrsrücksichten oder den Rücksichten auf das Malerisch - Schöne der 
Vorrang gebühre. Es ist auf die krummen Stralien und die unregelmäßigen maleri- 
schen Platzanlagen in unseren älteren deutschen Städten hingewiesen und behauptet 
worden, die Alten hätten ihre Straßen absichtlich und nach einheitlichem Plane so 
winkelig und krumm angelegt und ihre Platzgrundrisse wohlbewußt so unregelmäßig 
gestaltet, um bessere malerische Wirkungen zu erzielen; deshalb solle man auch 
in unsere modernen Bebauungspläne von vornherein krumme Straßen und malerische 
Platzanlagen hineinzeichnen, unter ziemlich genauer Vorzeichnung der sämtlichen den 
Platz künftig umgebenden Gebäude nach Art und äußerer Gestaltung. Verfasser ist 
der Ansicht, daß die Alten wohl schwerlich für ganze Straßenzüge oder gar Stadt- 
teile krumme, unregelmäßige und winkelige Straßen mit Vorbedacht geplant haben, 
glaubt vielmehr, daß die heute vorhandene Unregelmäßigkeit solcher Straßenzüge 
mehr dem Zufall und:der Willkür, wie sie naturgemäß vor dem Bestehen besonderer 
gesetzlicher Bestimmungen über die Straßenfluchtlinien herrschen mußte, oder auch 
gewissen, heute nicht mehr erkennbaren praktischen Forderungen (Berücksichtigung 
der besonderen Terrainverhältnisse, früher vorhandener Wasserläufe, alter Eigentums- 
grenzen u. s. w.) ihre Entstehung verdankt”””). 
*) Siehe: Stübben, a. a. O, 8. 345—8358, 381—402, 458, 459 u. 509—513. 
**) Vergl. die Aufsätze von Stübben und Henriei in: Deutsche Bauz. 1893, S. 271, 294, 
326, 349, 378, 415; 1894, S. 501, 506, 608, 628, 646. — Siehe ferner: Henrici, Preisgekrönter Kon- 
kurrenzentwurf zu der Stadterweiterung Münchens. München 189. 
***) Auch Sitte (siehe dessen: Der Städte-Bau nach seinen künstlerischen Grundsätzen. Wien 
1889. 8.55 u. 58) scheint-ähnlicher Ansicht zu sein und warnt vor „Krummzeichnungen* und „Un- 
  
  
 
	        
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