Full text: Die weiße Frau

  
Es war mir unmöglich, in dieſem Augenbli> zu verſuchen, das neue 
Geheimnis zu durchdringen: Die Suite des Prinzen, die ein wenig zurü>- 
geblieben war, ſtieß zu uns und mein Pferd, aufgeſtachelt dur< die Be; 
wegung rundherum, zeigte ſi< unlenkſam im Gebiß und trug mi<h na< 
vorn. Es gelang mir jedoch, es zu beſänftigen, ich kehrte zurü> und ſtürzte 
mich mit hängendem Zügel auf die Stelle zu, wo ich, ganz in weiße Schleier 
gehüllt, das lebende Rätſel geſehen hatte, das mir wie eine Frau erſchienen 
war. Aber ih ſuchte es dort vergebens; der Hügel, auf dem ich fie einige 
Augenbli>e vorher geſehen hatte, war noch immer da, aber verlaſſen. 
Ich näherte mich den Soldaten, um einige Erklärungen von ihnen zu 
erlangen. 
„Man bat ziemlich viel ſolche Weinenden gefehen”, antwortete einer 
von ihnen auf meine erſte Frage. — „Haft Du eine Frau mit einem großen 
weißen Schleier geſehen?“ 
„Ja, Lieutenant, ſie hatte ſich keine großen Toiletten-Unkoſten gemacht, 
fie kam ficher aus dem Bett, und hat \ſi< mit einem Laken begnügt, um 
ihre Reize zu verbergen. Sonderbare Frau! fie iſt nicht mehr da .…., man 
weiß nicht, wie ſie verſhwunden iſt .…. wahrſcheinlich ſchämt ſie ſich ihres 
Nachtkleides !“ 
Das iſt alles, was ich erfahren konnte. Ih bewahrte Schweigen. In 
Gedanken verſunken, fragte ih mich, ob ich nicht jene weiße Frau, jene 
phantaſtiſche Gräfin von Orlamünde vor Augen gehabt, die na einer 
alten Sage den Gliedern des Hauſes Hohenzollern erſcheinen fol, jedesmal 
wenn einem von ihnen ein Unglü> zuſtoßen wird. Ich kehrte zum Prinzen 
zurü>, der meine Abweſenheit bemerkt hatte; da er aus der Bewegung 
meiner Züge erriet, daß ih das Geheimnis nicht hatte aufflären können, 
fah er mir feſt in die Augen, legte einen Finger auf den Mund und ſagte: 
„Schweigen !“ 
Dieſes Erſcheinen der Weißen Frau, die zwei furchtloſe Männer gewahr- 
ten, ift vielleicht die merkwürdigſte aller Viſionen. Doch auch hierfür weiß 
ein Zeitgenoſſe eine Aufklärung zu geben.) 
Der Betriebsleiter der im Jahre 1772 von Macheleidt gegründeten älteſten 
Volkſtedter Porzellanfabrik hatte eine bildhübſche, kluge Tochter, welche die 
Fürſtin zu \i< als Kammerzofe auf das Schloß zu Rudolſtadt genommen 
hatte. Hier verlor ſie ihr Herz an des Fürſten jungen, ſtattlichen Kammer- 
diener. Die Eltern wollten aber von dieſer ehelichen Verbindung nichts 
wiſſen; ihre Tochter ſollte vielmehr einen jungen Fabrikanten, der des 
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