Full text: Die weiße Frau

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mit lautem Angſtrufe und fliegenden Haaren eilends das Feld räumte 
und die Treppe hinaufſtolperte, ſo daß die auf der offenen Galerie, nach dem 
Schloßhofe zu ſtehende Schildwache das Geſchrei und Geräuſch des Laufens 
deutlich vernommen hat. Im Monat Mai wurde das Geſpenſt auf dem 
Schloßhofe um Mitternacht in der Nähe des Einganges zur Silberkammer 
von einem Unteroffizier mit Entſeßzen wahrgenommen, wie es ſich langſam 
und ſ{<weigſam na< dem Brunnen und um ihn herum bewegte, von 
lichten Gewändern umhüllt. Glü>licherweiſe konnte es ſi< am folgenden 
Morgen als bejahrte, {werhörige Köchin legitimieren, die die kühle Nacht- 
luft luſtwandelnd genoſſen hatte. Sie wohnte, zur Ruhe geſeßt, no< 
im Schloß und war bier unter dem Namen der „Schwarzen Mine“ 
befannt. 
Bor Ausbruch des preußifchzöfterreichifchen Krieges 1866 wollen im 
Schloſſe zu Ansbach drei Mädchen eine weiße Geſtalt erbli>t haben, vor 
der fie eiligft flohen.) Genau ſo unkontrollierbar find die Gerüchte 
von dem Erſcheinen der Weißen Frau einige Tage vor der Geburt des 
legten Kaifers Wilhelms IL. im Jahre 1859 und vor dem Tode Wilhelms I, 
im Jahre 1888. Nichts als eine politifch ausmwertbare erdichtete Lüge aber 
iſt die von dem Franzoſen Langlois verbreitete Nachricht), die Weiße Frau 
ſei furz vor dem Ausbruch des Weltkrieges dem Kaiſer Wilhelm IL erz 
ſchienen, als er im Mai 1914 mit dem Reichskanzler Bethmann-Hollweg 
den Juliusturm zu Spandau beſichtigte. Plöglich ſeien auf der leßten Pforte 
die Worte ſichtbar geworden: „La citadelle ne tardera pas à subir de nou- 
veau le sort de...” („die Zitadelle wird bald von neuem das Gefchid 
von... erleiden); wie die Worte an die Tür gekommen, wußte niemand 
zu ſagen. Obwohl der Kaiſer alles ſorgfältig abſchließen ließ, ſo daß niemand 
hinzukommen konnte, fand er bei ſeinem nächſten Beſuch im Juni den Saß 
vollendet: „le sort de 1806.“ Im Jahre 1806 hatten die Franzoſen nämlich 
Spandau eingenommen! Im Juni und Juli ſei dem Kaiſer auch die Weiße 
Frau im Potsdamer Schloß und dann in der Ahnengalerie des Berliner 
Schloſſes und fchließlich in einem Berliner Park erfchienen. Eine Berliner 
Zeitung habe die Nachricht davon gebracht. Aber Belege für dieſe Dichtung 
des Franzoſen fehlen. 
Die Nachrichten über die Erfeheinungen der Weißen Stau, die fih von 
1486 bis in die Gegenwart hinein erfireden, find alfo alle mit Vorſicht 
aufzunehmen. Keine ift ſo klar und durch einwandfreie und widerſpru<s- 
loſe Zeugniſſe verbürgt, daß die Exiſtenz der Weißen Frau dadurch bewieſen 
wäre. 
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