7. Die Weiterbildung der Sage
a) durch andere Sagen, Märchen, Volkslieder, Kinderreime.
Die Sage von der Weißen Frau hat eine Weiterbildung nach vielen
Seiten hin erfahren, vor allem deswegen, weil ſie verſchiedenen Vor-
ſtellungstreiſen entſproſſen iſt.
Herausgewachſen aus dem alten Toten- und Schußgeiſterglauben, hat
ſie <hriſtlihes Gepräge dur< den Sühnegedanken, der germaniſchem
Denken unbekannt, ja fremd iſt, angenommen: Zur Sühne für ihr Ver-
. gehen muß die Weiße Frau herumwandeln, bis ſie Erlöſung findet. Auch
nach ſpäterem deutſchen Volksglauben finden Kindesmörderinnen ebenfo;
wenig wie Selbfimörderinnen im Grabe Nuhe und gehen um.1?t) Im der
eingangs gegebenen Faffung, nach der die Weiße Fran zum Panfte pilgert
und zur Sühne ihres Verbrechens ein Kloſter ſtiftet und \ſi< felbft dem
Elöfterlichen Leben weiht, tritt die chriftlichzfirchliche Weltanſhauung des
Mittelalters ganz deutlich zutage. Das Volk hat an dieſer Löſung, obwohl
ſie der geſchichtlichen Wirklichkeit, Kunigundens Eintritt ins Kloſter, ent-
ſpricht, etwas Fremdartiges erbli>t. Dem Volks8empfinden und dem nah
Gerechtigkeit verlangenden Volksglauben hat Widmann in ſeinem um 1600
verfaßten Chronicon der Stadt Hof inſofern den ſchuldigen Tribut gezollt,
als dort die Kindermörderin vom Burggrafen Albrecht zur Strafe für ihr
Verbrechen eingemauert wird. Und noch Wilhelm von Kügelgen hört die
Sage 200 Jahre ſpäter, wie wir ſogleich fehen werden, in der Weiſe, daß
die Gräfin nach dem Kindermorde der Verurteilung dur das Femegericht
und der Hinrichtung verfällt. Tötet nach der urſprünglichen Sage die Mutter
ihre Kinder ſelb| dur< Nadelſtiche in die Hirnſchale, um den Gedanken
an einen Mord gar nicht aufkommen zu laſſen, ſo nimmt menſchliches
Empfinden dem Morde das unglaublih Grauſame inſofern, als es die
Mutter felbft nicht die grauſige Untat begehen läßt, ſondern einen Knecht,
Hager oder Hayder, als Mittelsperſon einführt. Darum iſ die erſte
Faſſung bei Grimm (Nr. 585) als eine ſpätere Ausgeſtaltung der
¿weiten Faſſung zu bewerten.
Zum erſten Male finden wir dieſe Weiterbildung in einer <ronikaliſchen
Erzählung von Nikolaus Dumman.!) Im 33. Kapitel des 12. Buches
„De tristissimo aliquo effrenati amoris errore” ©. 469 fieht ein Deutz
fches Lied mit lateiniſcher Überſezung auf den Kindermord der Herzogin
(ſo!) von Orlamünde, das Nikolaus Dumman, Prieſter in Himmelsfron,
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