KREIS OFFENBACH
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Fig. 30. Offenbach. Schloss: Grundriss nach Manchot.
Massstab 1:400.
des Grafen Reinhard, eine Annahme, welcher hinsichtlich der beiden mittleren Stock-
werke unbedingt beizupflichten ist. Anders hingegen dürfte es sich mit dem Erd-
geschoss verhalten. Der darüber hinziehende, auch an den Schmalseiten des Baues
sich fortsetzende Rundbogenfries, dessen derbe Formen nirgends am Bauwerk ein
Analogon finden und überhaupt jeder Berührung mit der Architektur der beginnenden
zweiten Hälfte des ı6. Jahrhunderts entbehren, ist sammt dem von ihm bekrönten
Untergeschoss und den halbrunden Vorbauten, welche die Ueberreste der alten
Flankenthürme sind, entschieden für die gothische Herrenburg des ı3. Jahrhunderts
zu beanspruchen. Für diese Zeitbestimmung kann die Erscheinung des Rundbogens
anstatt des Spitzbogens in diesem Friese um so weniger befremden, als erfahrunes-
gemäss in der spätgothischen Profanarchitektur die beiden Bogenarten nebeneinander
in Uebung standen. Bei der Besprechung des Innenbaues wird der gothische
Ursprung einzelner Theile des Erdgeschosses noch nähere Begründung erfahren.
Im Uebrigen ist bei der kunsthistorischen Beurtheilung des Isenburgischen Schlosses
die Thatsache wohl zu beachten, dass hier die Formen der Gothik und der
Renaissance struktiv wie dekorativ in so auffallende Verbindung zu einander gebracht
sind, dass es selbst einem in stylistischen Dingen geübten Auge in manchen Fällen,
wenigstens auf den ersten Blick nicht ganz leicht sein wird, für die Gleichzeitigkeit
oder chronologische Verschiedenheit dieses oder jenes gothisirenden oder renaissan-
cirenden Formenausdruckes sich zu entscheiden. Die Symptome des Nebeneinander-
bestehens und Ineinanderfliessens der beiden, in so mancher Hinsicht entgegen-
gesetzten Stylarten sind übrigens weder auf Offenbach eingeschränkt, noch in der
mittelrheinischen Denkmälerzone eine Seltenheit. Wir begegnen gothischen Nach-
klängen inmitten des ausgebildeten Renaissancestyles beispielsweise an einer Thor-
fahrtwölbung des Schlosses zu Darmstadt vom Schluss des 16., an der Gallerie-
brüstung des Steinheimer Thorthurmes zu Seligenstadt vom Beginn des 17. Jahr-
hunderts und an den Helmgeschossen des Westthurmes des Mainzer Domes aus
gleicher und noch jüngerer Zeit.