244 KREIS OFFENBACH
fortlaufender Kanal, welcher in Kilometerläinge gen West den Wald durchzieht
und in einen Teich mündet. Der Kanal dient lediglich Entwässerungszwecken.
Die Meinung, seine Anlage habe die Bedeutung eines unterirdischen Ganges gehabt,
um im Fall der Noth zur Flucht benützt zu werden, gehört in das Gebiet der Fabel.
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In der Mitte der Gebäudeflucht steigt eine doppelte Freitreppe zum Haupt-
geschoss hinan, welches hier mit einer freien Gallerie nach aussen sich öffnet, die
von Pfeilern gestützt wird. Der Pfeilerbau ist von harmonischen Verhältnissen,
entbehrt aber jeder ornamentalen Behandlung der architektonischen Einzelformen.
Aus der Gallerie führen einige Stufen in’s Vestibul und dann in den grossen Speise-
saal, den Mittelraum des Hauptgeschosses, über dessen Eintrittsthüre. die ver-
schlungenen Kursiv-Initialen ZZ von einer Krone überragt in Hochrelief geschnitten
sind. Alte Ledertapeten mit Arabesken in Goldpressung geben dem vornehmen
Inneren das entsprechende Zeitgepräge. Vom Mobiliar gehören nur einige Fauteuils
dem vorigen Jahrhundert an. Hingegen sind die in Gold und Weiss ornamentirten
Kamine mit dem Schlossbau gleichaltrig, wie die verschlungenen Buchstaben ZZ
(Ludwig Landgraf), als Namenschiffre des fürstlichen Erbauers Ernst Ludwig bezeugen.
Lebensgrosse Bildnisse hoher Persönlichkeiten schmücken in reichen Rococo-
Umrahmungen die Saalwände. Das Bildniss des Landgrafen Ludwig VIII, von
Johann Christian Fiedler (1697 1768) gemalt, ist eine befriedigende Leistung,
während das Porträt des Landgrafen Ludwig IX mehr historischen als künstlerischen
Werth besitzt. Die Bildnisse der Kaiserin Maria Theresia und ihres Gemahles
Kaiser Franz I, welche ebenfalls J- Ch. Fiedler zugeschrieben werden, zeieen eine
glückliche Nachahmung der damaligen, besonders in der Bildnissmalerei tonan-
gebenden französischen Schule. Den künstlerisch werthvollsten malerischen Schmuck
des grossen Saales und eines anstossenden Salons bilden sechs Superporten (dessus-
portes), von dem Landgräflichen Hofmaler Johann Konrad Seekatz (1719 - 1769).
Darstellungen von Schäfer-Idyllen wechseln mit Scenen aus dem Landleben der
Vornehmen. Die heiteren Schilderungen gehören durch Lebendiekeit der Auf-
fassung und eine geistreiche Touche in meisterlicher Behandlung aller Theile zu
den besten Arbeiten des liebenswürdigen Künstlers. Es fehlt nicht an Beurtheilern,
welche angesichts der Historienbilder von Seekatz ein Bedauern darüber empfinden,
dass es dem Meister zur vollen Entfaltung seines Taalentes nach dieser Seite hin
an einer grossen, schwungvollen Zeit gefehlt habe. Man kann dieses Bedauern
theilen, ohne zu verkennen, dass das von dem Künstler auf dem Gebiet der Idylle
und des Sittenbildes Geleistete fortdauernd ein Entzücken der Kunstkenner bildet
und zumal in Werken wie die Superporten zu Wolfsgarten (sie zierten früher das
Schloss zu Braunshardt) vollkommen hinreichend ist, seinem Namen die wohlverdiente
Anerkennung für alle Zeiten zu sichern. — In den Fensternischen des Saales be-
finden sich mehrere, mit Bleistift auf die Wandungen geschriebene und sorgfältig
durch Glasrahmen geschützte Autographa vom Ende des vorigen Jahrhunderts,
darunter Notizen von der Hand der Landgräfin Louise von Hessen und des
Erbprinzen Georg von Mecklenburg.
Die zu beiden Seiten des Hauptsaales folgenden Zimmerreihen enthalten eine
sehr beträchtliche Anzahl von Gemälden, grossentheils Bildnisse fürstlicher Personen,