76 KREIS ERBACH
sein. Ihre Eintheilung in grössere und kleinere Drei- und Vierpässe ist von glück-
licher Wirkung, ebenso die Verwendung mehrfarbiger Holzarten in hellen und
dunkeln Tönen. Die ornamentale Ausstattung mit Laubgewinden, Fruchtschnüren,
(renienköpfen, Wappen verräth eine namhafte Meisselfertigkeit. In der Mitte prangt
ein stattliches Wappen mit Inful und Stab. Im Wappenfeld deuten Fisch und
Ring auf die h. Verena als Patronin des Klosters und die Lilie auf den damaligen
Abt als Stifter des Kunstwerkes. — Die durchbrochenen Galleriebänke des Saales
sind moderne Michelstädter Schnitzarbeiten.
Die an die Hirschgallerie anstossenden drei Römischen Zimmer enthalten,
wie schon der Name andeutet, Kunstwerke der klassischen Antike, insbesondere
Marmorskulpturen, Vasen, Waffen und verschiedene Gegenstände antiker Kleinkunst,
ausserdem aber auch eine Folge germanischer prähistorischer Alterthümer, Steinwaffen,
Thongefässe, Kleingeräthe aus Bein u. a. m. Die dieser Schrift hinsichtlich der
Inventarisirung von Kunstsammlungen angewiesenen Grenzen gestatten auch hier
nur die Erwähnung einer beschränkten Anzahl besonders hervorragender Hauptwerke.
Die Sammlung der plastischen Arbeiten in Marmor, vornehmlich aus vollen
Rundfiguren und Büsten bestehend, ist die Frucht einer am Ende des vorigen Jahr-
hunderts unternommenen, zweimaligen italiänischen Reise des Grafen Franz und
des ihm zu theil gewordenen Beirathes von Kennern des klassischen Kunstalterthums
wie Visconti, Fontani, Venuti, Reiffenstein u. A.
Dem Alter nach ist wohl der Kopf eines Athleten, mit schmaler Binde als
Zeichen des Sieges um die Stirne, in erste Linie zu stellen. (Fis. 438.) Der
Ausdruck des jugendlichen Ringers ist ruhig; der Blick schaut selbstbewusst darein.
Im Stilistischen sind ‘zwei charakteristische Strömungen bemerkbar: die archaische
Richtung der Aeginetenschule und die ihrer Reife entgegengehende Richtung der
sogen. Uebergangsmeister kurz vor der ersten griechischen Blüthezeit. Besonders
das Gelöck des Hauptes bekundet noch viel Archaisches, während Auge, Nase,
Mund in richtiger Beobachtung der Formen auf ein vorgerückteres Stadium und
theilweise schon auf die letzten Vorstufen einer vollendeteren Kunst aus der Zeit
des Pythagoras, Myron und Kalamis hinweisen, welche, nach Plinius’ Bericht, der
Darstellung von Athleten mit Vorliebe zugethan waren. Manche halten das Werk
für jünger und verweisen es unter die sogenannten Jubaköpfe.
Auch über die Zeitstellung einer Büste des Dionysos sind die Meinungen
getheilt. Das Werk wird bald für die griechische, bald für die römische Kunstübung
beansprucht. Allen Analogieen nach hat man es hier auf Grund von Ungleichheiten
des Stiles mit einer jener nachgeahmt alterthümlichen, sogen. archaisirenden oder
archaistischen Skulpturen zu thun, dergleichen unter den Kaisern August und Hadrian
aus Gefallen an alterthümlichen Kunstformen nachgebildet wurden und denen es,
jedem geschulten Auge bemerkbar, an der ein Original kennzeichnenden Ueberein-
stimmung und Harmonie fehlt. Der gut modellirte Kopf trägt die den Gott des
Weines charakterisirende Stirnbinde, unter welcher das Haar theils fein gelockt, theils
in Flechten herabfällt. Der letztere Umstand und der dem Dionysos eigenthümliche
Zug in’s Weibliche mag früher Anlass gegeben haben, das Werk für eine Sappho
zu halten,