FÜRSTENAU
zuzuweisen sein. Den räumlich ansehnlichsten Theil des Erdgeschosses nimmt das
Markgräfliche Zimmer ein, welches durch die schon erwähnten Erkeranlagen
an der Ost- und Westfront wirkungsvoll sich erweitert. Diese zierlichen Ausbauten,
besonders das Innere des westlichen Erkers (Fig. 74), sind von leichtem Rippen-
werk überwölbt, : das aus dichten Laubkonsolen aufsteigt und woran das Wappen
Erbach-Wertheim die Zeit der Bauführung unter dem kunstfreundlichen Grafen
Eberhard I bestätigt.” Die viergetheilte Balkeneindeckung des Zimmers hat durch
eine um die Mitte des vorigen Jahrhunderts eingefügte luftige Stuccoverzierung
den ursprünglich spätgothischen Charakter eingebüsst. Der nämlichen Zeit ent-
stammen die Gobelinwebereien der Wandflächen, Idealkompositionen von Architektur-
gruppen und Springbrunnen in Parkanlagen mit mythologischer Staffage.
Beweist schon diese Decken- und Wanddekoration das nachhaltige Vordringen
des Stiles Ludwigs XV in das gothische Bauwerk, so hat sich der Wandel
vom Alten zum Neuen in der Auszier eines an das Markgrafengemach an-
stossenden Doudorrs gründlich vollzogen, worin das Rococo als Alleinherrscher
trıiumphirt. Hier ist an Decken- und Wandflächen keine Spur des früheren mittel-
altrigen Zustandes mehr zu erkennen. Ausgedehnte Stuccoarbeiten haben Allem
und Jedem den Stempel des Rococo aufgedrückt. Aber, fügen wir nur gleich hin-
zu, in Allem und Jedem offenbart sich auch ein nicht gering anzuschlagendes
dekoratives Gefühl. Allerdings darf man in dieser reichen vegetabilischen Orna-
mentation, zumal in der Arabeskenbildung, nirgends mehr die hohe Schönheit der
edleren Renaissance erwarten. Innerhalb der Stilrichtung besitzt diese Dekorations-
weise gleichwohl eine ihr eigenthümliche Grazie. (Fig. 75.) Diese Stuccoreliefzier
ist bei aller Lebendigkeit und Mannigfaltigkeit massvoll und klar. Nirgends be-
gegnet das Auge jener wirren Formenüberladung wie bei vielen anderen dekorativen
Leistungen des Rococo. Im Ganzen wie im Einzelnen waltet ein sicheres regeln-
des Gefühl, das dem kleinen Gemach den Vorzug eines Schmuckstückes seiner
Art verleiht. Die Farbengebung der Ornamentation wie des Wandgrundes, worauf
sie haftet, ist zwar durchweg eintöniges Weiss. Denkt man sich aber die zahl-
reichen, aus den Füllungen vortretenden kleinen Konsolen mit buntfarbigen Por-
zellanfigurinen nebst Leuchtern aus Goldbronze und schlanken Vasen mit
blumigem Rankenwerk belebt, dazu den traulichen Raum mit sonstigem Geräthe im
Geschmack der Zeit ausgestattet, so wird man eine annähernde Vorstellung von der
ehemaligen behaglichen Eleganz dieses Interieurs gewinnen. Jammerschade, dass dem
Markgräflichen Zimmer wie dem Boudoir bislang nur geringe Sorgfalt geschenkt
worden ist. Glücklicher Weise besteht die Absicht — ein erfreulicher Schritt in
diesem Sinn ist durch die Wiederherstellung der vorerwähnten Gobelins bereits
gemacht — weiterem Verderben Einhalt zu thun und den beiden, der grössten
Schonung und längsten Dauer würdigen Gelassen durch stilkundige Hände ihre
frühere Schönheit zurückzugeben.
In den übrigen Räumlichkeiten des alten Schlosses ist das Erhaltenswerthe
mit Pietät geschont und Neuerungen aus der unmittelbaren Gegenwart sind mit
künstlerischem Sinn durchgeführt. Vorsaal und Empfangszimmer machen einen
vornehmen Eindruck, mag immerhin das gothisirende Geräthe modern sein und
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Boudoir