HESSELBACH 129
in den letzten Zügen. Den Verscheidenden umstehen sein göttlicher Pflegesohn,
dessen Rechte verheissungsvoll gen Himmel deutet, und Maria, die mit dem Aus-
druck ergreifender Wehmuth zusammensinkt. Das Relief verräth ein gewisses
Meisselgeschick; durch übertriebene perspektivische Wirkungen und Haschen nach
allzu lebenswirklichem Ausdruck fehlt es ihm aber auch nicht an Nüchternheit
und Herbigkeit. Im Ganzen macht die Arbeit den Eindruck, als habe der Bildner
die Realistik altdeutscher Reliefskulpturen des 15. Jahrhunderts in die Formen-
sprache der ausklingenden Renaissance zu übertragen gesucht.
Auf dem Wiesenplan vor der Pfarrkirche stand bis in den Beginn des gegen-
wärtigen Jahrhunderts eines der besuchtesten Quellenheiligthümer des Odenwaldes,
die 52. Ottihenkapelle mit dem Ottihenborn. "Der Benedictiner Ignatius Gropp
gibt darüber in seiner /ıstorra Amorbacensis 1736 folgenden Bericht: »Scaturit
in hoc sacello fons Sanctae Ottiliae dicetus, qui nulla tempestate minuitur, nulla
augetur, et tam ‚hiemis, quam aestatis tempore unius ac ejusdem conditionis est,
in doloribusque capitis, oculorum, aegrisque prolibus cum optato per saepe fructu
a fidelibus aditur.< Vom Hochbau der Kapelle steht kaum noch ein Stein auf
dem andern. Nur Ueberreste alter Grundmauern trauern rings umher. Der Himmel
spannt jetzt sein Dach über die heilige Quelle, welche nach wie vor in gleich
unveränderlicher Stärke dem Boden entspringt und mit ihrer klaren, frischen Fluth
den Pilger labt.
Hesselbach, im äussersten südöstlichen Grenzwinkel des Kreises Erbach und
der Provinz Starkenburg gegen Baiern gelegen, wird von Touristen nur selten, vom
grossen Strom der Reisenden niemals besucht. Und doch ist das, allerdings nicht
ganz mühelos zugängliche, auf der Hochebene vereinsamte stille Dörfchen für die
Geschichte der römisch-germanischen Topographie und Wehrbaukunst von Bedeutung.
Die Annahme, der Ort verdanke sein Entstehen einer Römersiedelung, findet zwar
in Schriftquellen keine verlässige Begründung. Untrügliche Spuren jedoch, welche
die römische Gewaltherrschaft dicht bei dem Dorfe in Ueberresten eines Kastells
und zerstörter Wachtthürme hinterlassen hat, weisen mit aller Wahrscheinlichkeit auf
das Zutreffende jener Annahme hin. Diese Kastellüberreste und Thurmhügel sind
Glieder des ausgedehnten Grenzwalles, welcher, nach Einfügung der zwischen Donau,
Main und Rhein gelegenen germanischen Gebietstheile (Ager Decumanus) in das
Römerreich, durch Errichtung zahlreicher Standlager eine gesicherte Wehrlinie, den
Limes Romanus, bildete. Das gewaltige Werk wurde von Kaiser Domitian um’s Jahr 83
n. Ch. begonnen, durch Trajan weitergeführt und von Hadrian und den nächst-
folgenden Imperatoren vollendet. Aber schon gegen das Ende des dritten Jahr-
hunderts ging es den Römern, sammt dem ganzen Dekumatenland, durch die siegreich
vordringenden Alemannen für immer verloren. Der Hauptzug des Grenzwalles —
im Volksmund Teufelsmauer und Pfahlgraben genannt — beginnt bei Kehlheim an
der Donau, schlägt zunächst eine nordwestliche, dann südwestliche Richtung bis
Lorch an der Rems ein, und zeigt in dieser, von der Archäologie als rrätıscher
Limes bezeichneten Abtheilung die Konstruktion eines mörtellosen, niedrigem Mauer-
werk vergleichbaren Steindammes. Von Lorch an führt die Wehr den Namen Zrans-
rhenanıscher Limes und zieht in veränderter Beschaffenheit als Erdwall mit vor-
St. Ottilienborn
Mümlinglinie