Langhaus
KREIS ERBACH
schmalen, rundbogigen, tiefgelaibten Fenstern durchbrochen und dient der Kirche
als Vorhalle. Ein im Halbkreis gewölbter, schwerer Bogen, dessen Lichtweite in
neuerer Zeit viereckig verengert wurde, vermittelt den Zugang. Das Innere der
Vorhalle erhielt eine Umgestaltung durch die Gothik, welche dem ungegliederten
Raum vermittelst Einziehung von zwei viertheiligen Gewölbejochen zu künstlerischem
Aussehen verhalf. Die Veränderung scheint jedoch in ihren Wirkungen nicht ge-
fahrlos für den Bau verlaufen zu sein, wie der auf der südlichen Thurmseite auf-
gemauerte ungefüge Stützpfeiler bezeugt, der augenscheinlich zur Abwendung eines
drohenden Schubes erforderlich war. Die Rippen der Vorhallenwölbung zeigen
schlichte Hohlkehlengliederungen mit schmalen Plattstäben; sie entspringen ohne
Kapitälvermittelung aus polygonen Säulenstämmen, die auf analog gestalteten, ab-
geschrägten Basamenten ruhen. In den Scheitelpunkten der beiden Joche wird
das Rippenwerk von runden Schlusssteinen aufgenommen, die durch Steinfrass
leider schwer gelitten haben. Auf dem vorderen Schlussstein wollen Manche die
Ueberreste eines in Relief gearbeiteten Doppelrades als das Wappen des Erz-
stiftes Mainz erkennen; der andere Schlussstein soll Spuren einer Gruppe von
mehrstrahligen Sternen, das Wappen des Hauses Erbach, enthalten. Trügt hier
nicht der Schein, so würden die Wappenbilder auf den Erzbischof von Mainz,
Schenk Dieterich von Erbach sich beziehen, welcher von 1434 bis 1459 den
Mainzer Kurstaat regierte und zu dessen Diözese Höchst gehörte. Mit dieser Zeit-
stellung stimmen denn auch die Stilformen der Vorhallenwölbung überein. — Das
obere Thurmgeschoss ist von dem Untergeschoss durch ein formloses Simsband
geschieden und von zwei Schallöffnungen durchbrochen, deren eine, ungeachtet
der modernen Stütze in der gekuppelten rundbogigen Theilung, den romanischen
Ursprung erkennen lässt, die andere dagegen beim Umbau des Langhauses eine
Erweiterung in spätestgothischen Formen mit nach unten verlaufenden, geschweiften
Spitzbögen erfahren hat. Der Schieferhelm des Thurmes ist neueren Datums.
Das Zanghaus zeigt eine breiträumige Plananlage und wird durch gothische
lenster erhellt, die in ihren Scheitelwvandungen die Jahrzahlen 1566 und 13568
tragen. Diese Ziffern sind nicht nur für das Zeitverhältniss des Bautheiles, sondern
insofern auch für die lokale Kunstgeschichte beachtenswerth, weil sie das Fort-
leben der Gothik in den Odenwaldgegenden bis zum Beginn der zweiten Hälfte
des 16. Jahrhunderts beglaubigen, als ringsum in der mittelrheinischen Bauzone
schon die Renaissance in Blüthe stand. Freilich lassen die Einzelformen der
Fensterarchitektur unter stilistischem Gesichtspunkt unendlich viel zu wünschen übrig.
Die Pfosten sind dünnstäbig in die Länge gezogen und schwach gegliedert; im
Maasswerk treten Bildungen auf, die wohl entfernt an spätgothische Motive, wie
Flammen, Fischblasen, Eselsrücken u. dgl. erinnern, denen es jedoch an edlerem
Stilgefühl durchaus gebricht. Kurz, der Beschauer steht vor einem Beispiel mittel-
altriger Formbehandlung, das in seiner ganzen Erscheinung den Eindruck macht,
als habe der Werkmeister beabsichtigt, der Gothik noch einmal eine verspätete
Daseinsberechtigung einzuräumen, ein Versuch, der jedoch in Folge der geringen
Befähigung zur Wiedergabe durchgebildeter gothischer Bauformen nothwendig
scheitern musste. . Auch die Eingänge tragen die Signatur des Mangels an richtigem