Full text: Kreis Erbach (A, [2])

  
  
  
  
  
Langhaus 
   
KREIS ERBACH 
schmalen, rundbogigen, tiefgelaibten Fenstern durchbrochen und dient der Kirche 
als Vorhalle. Ein im Halbkreis gewölbter, schwerer Bogen, dessen Lichtweite in 
neuerer Zeit viereckig verengert wurde, vermittelt den Zugang. Das Innere der 
Vorhalle erhielt eine Umgestaltung durch die Gothik, welche dem ungegliederten 
Raum vermittelst Einziehung von zwei viertheiligen Gewölbejochen zu künstlerischem 
Aussehen verhalf. Die Veränderung scheint jedoch in ihren Wirkungen nicht ge- 
fahrlos für den Bau verlaufen zu sein, wie der auf der südlichen Thurmseite auf- 
gemauerte ungefüge Stützpfeiler bezeugt, der augenscheinlich zur Abwendung eines 
drohenden Schubes erforderlich war. Die Rippen der Vorhallenwölbung zeigen 
schlichte Hohlkehlengliederungen mit schmalen Plattstäben; sie entspringen ohne 
Kapitälvermittelung aus polygonen Säulenstämmen, die auf analog gestalteten, ab- 
geschrägten Basamenten ruhen. In den Scheitelpunkten der beiden Joche wird 
das Rippenwerk von runden Schlusssteinen aufgenommen, die durch Steinfrass 
leider schwer gelitten haben. Auf dem vorderen Schlussstein wollen Manche die 
Ueberreste eines in Relief gearbeiteten Doppelrades als das Wappen des Erz- 
stiftes Mainz erkennen; der andere Schlussstein soll Spuren einer Gruppe von 
mehrstrahligen Sternen, das Wappen des Hauses Erbach, enthalten. Trügt hier 
nicht der Schein, so würden die Wappenbilder auf den Erzbischof von Mainz, 
Schenk Dieterich von Erbach sich beziehen, welcher von 1434 bis 1459 den 
Mainzer Kurstaat regierte und zu dessen Diözese Höchst gehörte. Mit dieser Zeit- 
stellung stimmen denn auch die Stilformen der Vorhallenwölbung überein. — Das 
obere Thurmgeschoss ist von dem Untergeschoss durch ein formloses Simsband 
geschieden und von zwei Schallöffnungen durchbrochen, deren eine, ungeachtet 
der modernen Stütze in der gekuppelten rundbogigen Theilung, den romanischen 
Ursprung erkennen lässt, die andere dagegen beim Umbau des Langhauses eine 
Erweiterung in spätestgothischen Formen mit nach unten verlaufenden, geschweiften 
Spitzbögen erfahren hat. Der Schieferhelm des Thurmes ist neueren Datums. 
Das Zanghaus zeigt eine breiträumige Plananlage und wird durch gothische 
lenster erhellt, die in ihren Scheitelwvandungen die Jahrzahlen 1566 und 13568 
tragen. Diese Ziffern sind nicht nur für das Zeitverhältniss des Bautheiles, sondern 
insofern auch für die lokale Kunstgeschichte beachtenswerth, weil sie das Fort- 
leben der Gothik in den Odenwaldgegenden bis zum Beginn der zweiten Hälfte 
des 16. Jahrhunderts beglaubigen, als ringsum in der mittelrheinischen Bauzone 
schon die Renaissance in Blüthe stand. Freilich lassen die Einzelformen der 
Fensterarchitektur unter stilistischem Gesichtspunkt unendlich viel zu wünschen übrig. 
Die Pfosten sind dünnstäbig in die Länge gezogen und schwach gegliedert; im 
Maasswerk treten Bildungen auf, die wohl entfernt an spätgothische Motive, wie 
Flammen, Fischblasen, Eselsrücken u. dgl. erinnern, denen es jedoch an edlerem 
Stilgefühl durchaus gebricht. Kurz, der Beschauer steht vor einem Beispiel mittel- 
altriger Formbehandlung, das in seiner ganzen Erscheinung den Eindruck macht, 
als habe der Werkmeister beabsichtigt, der Gothik noch einmal eine verspätete 
Daseinsberechtigung einzuräumen, ein Versuch, der jedoch in Folge der geringen 
Befähigung zur Wiedergabe durchgebildeter gothischer Bauformen nothwendig 
scheitern musste. . Auch die Eingänge tragen die Signatur des Mangels an richtigem 
  
  
    
  
   
    
    
  
    
    
     
     
  
    
  
  
  
  
   
   
   
  
  
        
  
  
  
  
  
  
   
       
	        
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