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STEINBACH U. EINHARD-BASILIKA
Ein überaus merkwürdiger und zwar der besterhaltene Theil des ganzen Archti-
tekturwerkes ist: die Ärypla. (Fig. 129.) Die Abmessungen, die struktiven Ver-
hältnisse und die mannigfaltige Ausgestaltung dieser Unterkirche sind wahrhaft über-
raschend. Denn der Gebäudetheil entspricht nicht nur, wie solches bei Krypten
fast durchweg Richtschnur ist, der räumlichen Ausdehnung der OÖstparthie mit den
Altarapsiden, sondern er erstreckt sich auch weiter unter dem Mittelschiff hin und
ist, abweichend vom romanischen Kryptenbau, ohne Lichtöffnungen und so tief
gelegt, dass keine Erhöhung des Fussbodens im Innenraum der Kirche erforderlich
war. Durch ihre Verlängerung gen West erhielt die Unterkirche die Gestalt eines
lateinischen Kreuzes. Was diese Plananlage besonders auffällig macht, ist der
Umstand einer ganz ungewöhnlichen Behandlung und Ausgestaltung der vier Enden
der Kreuzarme. Die beiden sich durchschneidenden Korridore laufen nämlich in
kapellenartig erweiterte Räume aus, die theils an Oratorien, theils an Arkosolien
in den römischen Katakomben gemahnen. An die Endpunkte der Ostseite des
nördlichen, mittleren und südlichen Kreuzarmes legen sich drei, den Haupt- und
Nebenapsiden der Oberkirche entsprechende Nischen mit rechtwinkligen, nach West
gerichteten Vertiefungen an, so dass kleine Oratorien entstehen, während am Fusse
des verlängerten Kreuzarmes, zu beiden Seiten des Korridors, je ein Arkosolium
angeordnet ist. In dieser mannigfachen Gliederung trägt die Kryptenanlage deutlich
das Gepräge eines Katakomben-Cömeteriums, und zwar einer confessio im früh-
christlichen Sinn, also einer Oertlichkeit zur Aufstellung von Reliquien und Sarko-
phagen. Der Eingang zur Unterkirche befindet sich gegenwärtig an der Schmalseite
des südlichen Kreuzarmes; an dieser Stelle des zerstörten Nebenschiffes mag auch
der ursprüngliche Kryptenzugang sich befunden haben.
Bis auf die neueste Zeit galt die Steinbacher Kirchenruine in den weitesten
Kreisen als eine Schöpfung romanischen Stiles, und als solche steht sie in Fach-
schriften der letzten Jahrzehnte (u. a. in W. Lotz Kunsttopographie B. I, S. 486)
verzeichnet. Schüchterne Andeutungen über die Möglichkeit des Zurückragens des
Bauwerkes in die Karolingerzeit entbehrten jeglicher kritischen Beweiskraft und
waren nicht im Stande, die Behauptung von dem vermeintlichen romanischen Ur-
sprung zu erschüttern. Die Bestimmung der Ruine als Einhardbasilika aber war
vor unseren Forschungsergebnissen noch von Niemand aufgestellt und überhaupt
Einhards Name bis dahin in keinerlei Beziehung zu dem Gebäude gebracht worden.
Am meisten scheint das obengenannte Portal, von welchem wenigstens Abbildungen
sich erhalten haben, die in der That auf das einfach schöne, tiefgelaibte, säulen-
gezierte und mit Tympanon versehene Portalschema des 12. Jahrhunderts hindeuten, *)
zur Annahme des vermeintlich romanischen Ursprunges des Bauwerkes beigetragen
zu haben. Allein, wirklich romanisch sind an der Steinbacher Klosterruine nur
einige Veränderungen und Erweiterungen. Ob zu diesen späteren Hinzufügungen
schon die über den Arkaden sich erhebenden Hochwände zu rechnen sind, mag
wegen der Gestaltung der klein gelaibten Oeffnungen im Lichtgaden, die mit den
Fenstern der karolingischen Hauptapsis entschieden übereinstimmen, dahingestellt
*) S, die Abbildungen des seit 1810 spurlos verschwundenen Portales im handschriftlichen Rittersaal - Katalog
zu Erbach und im Archiv des historischen Vereins für das Grossherzogthum Hessen, B. III, Heft 2, 1842.
Krypta
Stilverhältniss