KREIS ERBACH
der Urkunde der Grenzbeschreibung dieses Besitzthums ist weder eines Dorfes
Steinbach noch einer klösterlichen Stiftung dieses Namens gedacht. Auch in der
»Geschichte der Uebertragung der h. h. Blutzeugen Petrus und Marcellinus«,
die keinen Geringeren als Einhard selbst zum Verfasser hat, findet sich über das
Bestehen oder die Erbauung einer zweiten Kirche im Umfang der erwähnten Be-
sitzungen nichts angedeutet, was zweifellos geschehen wäre, wenn Einhard einen
solchen Bau vollführt oder auch nur angefangen hätte. Ueberhaupt kommt der
Name Steinbach in keiner Urkunde der Karolingerära vor. Auch als nach Einhard’s
und Imma’s Ableben deren Odenwaldgüter, kraft der obengenannten letztwilligen Ver-
fügung, thatsächlich an Lorsch gefallen waren, blieb der Name Steinbach noch auf
dritthalb Jahrhunderte hinaus den Annalen dieser Abtei fremd. Unter dem Jahre
1073 berichtet dann das Lorscher Chronikon, Abt Ulrich habe die Cella Michel-
stadt, wo schon Einhard eine Genossenschaft von Dienern Gottes habe versammeln
wollen, nachdem die Gründung 253 Jahre hindurch öde und wüst gelegen, wieder
in bewohnbaren Stand gebracht und mit Religiosen besetzt, denen der Abt zu
ihrem Unterhalt besondere Güter anwies. Die von Ulrich begonnene Erneuerung
der alten Stiftung dehnte sein Nachfolger, Abt Winter, welcher dem Kloster Lorsch
von 1078 bis 1089 vorstand, durch Anweisung anderer Güter weiter aus, und nun
erst — einige Zeit nachher, im Jahre 1095 — tritt in den Lorscher Annalen zum
ersten Male der Name Steinbach auf und zwar in der Schreibung ‚StZernbeche.
In dieser quellenmässig verbrieften Thatsache wurzelt ein Hauptmoment zur Klärung
der Identitätsfrage.
Bisher hatte nämlich die Historiographie das Sachverhältniss unrichtiger Weise
so aufgefasst, als sei unter Steinbach eine neben der Einhardgründung bestehende
besondere Stiftung zu verstehen. Wir hingegen gelangten schon sehr bald zu der
anderen, gegentheiligen Ansicht, dass Michelstadt, im Sinne des Einhard-Kirchen-
baues genommen, mit dem erwiesener Maassen viel später auftretenden Steinbach
identisch sei, d. h. wir betrachten Steinbach — augenscheinlich der Name eines
in Folge der Stiftung entstandenen Gehöftes oder Dörfchens — lediglich als die
jüngere Bezeichnung der alten, im Angesicht des eigentlichen Michelstadt errichteten
Einhardgündung. Wie anders auch? Weder Einhard’s Schriften noch die sonstigen
Schriftdenkmäler der Karolingerzeit enthalten Hinweise über eine Oertlichkeit oder
Kirchenstiftung des Namens Steinbach. Und, wäre Kloster Steinbach von einem
Lorscher Abte oder einem anderen Stifter als selbstständige Cella oder Propstei
neben der 1073 erneuerten Einhardschöpfung erbaut worden, so würden die Jahr-
bücher der berühmten Benediktinerabtei an der Bergstrasse einer solchen, auf eigenem
Grund und Boden entstandenen Odenwald-Niederlassung sicherlich gedenken, zumal
diese Aufzeichnungen uns sonst über bauliche Unternehmungen der Benediktiner
von ZLauresham, wie Lorsch früher hiess, nicht im Stich lassen. Aber auch in
diesem Betracht fehlt es an allem und jedem urkundlichen Nachweis. Ebenso
spricht der Umstand, dass die Einhardgründung so viele Jahre hindurch von Lorsch
vernachlässigt worden, mit Entschiedenheit für eine der Besitzära dieser Abtei vor-
hergegangene Stiftungszeit und unterstützt in keiner Weise die Annahme einer
jüngeren Zeitstellung dieses Kirchenbaues.
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