Full text: Kreis Erbach (A, [2])

   
ERBACH 61 
augenscheinlich Bestandtheil einer Kreuzwegserie und nach herkömmlichen Typen 
handwerksmässig ausgeführt. Christus ist unter der Last des Marterpfahles in die 
Kniee gesunken, umgeben von Schergen. Maria und Johannes folgen trauernd dem 
Zug zur Schädelstätte. Die Peiniger sind im Sinn der naturalistischen Kunstrichtung 
der Zeit als wilde hässliche Gesellen individualisirt. 
Zwei Kaseln, die eine von rother, die andere von weisser Seide, sind nam- 
hafte Leistungen der Weberei und Stickerei des 15. Jahrhunderts. Den Hauptschmuck 
des rothen Altargewandes bildet auf dessen Rückseite ein von Goldfäden durch- 
schossener Webestoff in Form eines Kreuzes, auf dessen Langbalken die 30 cm 
hohe Gestalt des Heilandes in der Auffassung als Welterlöser eingestickt ist. Innerhalb 
des Querbalkens tritt rechts der Apostel Jakobus der Acltere mit dem Attribut des 
Pilgerstabes auf, links der Apostel Andreas mit dem Abzeichen des Schrägkreuzes, 
das nach ihm Andreaskreuz heisst. Auf dem unteren Theil des Langbalkens er- 
scheinen die Apostelfürsten Petrus und Paulus mit dem Abzeichen des Schlüssels 
und des Schwertes in 25 cm hohen Figuren. Sämmtliche Gestalten sind in viel- 
farbiger Seide als gepolsterte Reliefstickerei realistisch ausgeführt. Die Nischen- 
hintergründe, von denen die Figuren sich abheben, sind mit geschweiften Spitzbögen, 
sogen. Eselsrücken gegiebelt und deuten durch dieses Formmotiv unzweifelhaft auf 
das erwähnte Zeitverhältniss hin, womit auch das Verfahren der Reliefpolsterung 
übereinstimmt. — Die andere Aaswla besteht aus weissem Seidendamast mit dem 
Granatapfel als regelmässig wechselndes Hauptornament und ist bedeckt von einer 
vortrefflichen Plattstickerei, welche die Madonna mit dem Christkind zum Gegen- 
Maria 
auf der Mondsichel und umfängt das göttliche Kind mit beiden Händen. Auf dem 
stande hat. Die Gruppe zeigt eine Höhenabmessung von 62 cm. steht 
nimbenumflossenen Haupte trägt sie eine stilisirte, der Krone des römisch-deutschen 
Kaiserreiches formverwandte Bügelkrone, welche die Jungfrau als Himmelskönigin 
charakterisirt. Der Gesichtsausdruck ist sehr glücklich und giebt von der Kunst 
der Nadelmalerei des Mittelalters die günstigste Vorstellung. Der rothe Mantel und 
das lichtblaue Gewand fliessen in massvoll gebrochenem Faltenwurf hernieder. Die 
minder glücklich komponirte Gestalt des nackten Jesusknaben steht in auffallendem 
Gegensatz zur cedelschönen Erscheinung der Madonna. Der Nimbus des Christkindes 
ist von ungewöhnlicher Grösse. Beide Gestalten sind ausser den Kopfnimben von 
einer die ganze Gruppe umflammenden goldenen Strahlenglorie umgeben. Die Her- 
kunft der schönen Leistung ist unbekannt. Ihre Entstehung kann nicht über die 
erste Hälfte des 15. Jahrhunderts zurückgehen, da die, wenn auch wohlgeregelte, 
doch immerhin leicht geknitterte Gewandbehandlung erst um diese Zeit, wie in 
Plastik und Malerei, so auch im edleren Kunstgewerbe durch die Einwirkung von 
den Niederlanden her in Aufnahme gekommen war. Das Allianzwappen am Saum 
der Kasula harrt noch der Lösung; wir bescheiden uns, dasselbe nicht zu kennen 
und konnten auch von sonst kompetenter Seite einen befriedigenden Aufschluss 
darüber nicht erhalten. 
Die Schlosskapelle empfängt ihr Licht durch zwei mit Glasmalereien ge- 
schmückte Fenster, von denen die in der Hochwandflucht gen Osten gelegene 
Lichtöffnung aus vier Tafeln besteht, welche für das frühgothische Entwickelungs- 
Liturgische 
Gewänder 
Glasmalereien 
     
  
    
     
  
  
  
  
  
  
    
   
  
  
  
  
   
   
   
  
   
   
   
   
     
  
  
   
  
  
   
  
   
	        
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