Korporalien-
schrein
712 EHEMALIGER KREIS WIMPFEN
grund ist vegetativ ausgestattet. Selbstverständlich hat die kritische Beurtheilung
von der Erwägung auszugehen, dass die künstlerische Wirkung nicht so sehr durch
die gravirte Umrisszeichnung sondern wesentlich durch die Leuchtkraft des trans-
lueiden Emails bedingt war. — Auf den sechs vorspringenden Rotuli des Kelch-
knaufes oder Nodus sind kleine Silberplatten mit drei männnlichen und drei weib-
lichen Brustbildern gravirt, die nach ihrer technischen Beschaffenheit ebenfalls mit
durchscheinendem Farbenschmelz überzogen waren. FErläuternde Inschriften sind
nicht vorhanden. Die Typen der männlichen Köpfe deuten jedoch unzweifelhaft auf
Christus und die Apostelfürsten Petrus und Paulus; von den weiblichen Bildnissen
wird die Matrone mit dem Schleier als Muttergottes zu erklären sein; die beiden
anderen Frauen tragen langwallendes Haar und, wie alle übrigen Figuren, Nimben
um’s Haupt als Zeichen ihrer Heiligkeit. Darunter ist der Knauf mit Ranken und
Blättern des symbolischen Weinstocks verziert; zwischen dem Laubwerk traten an
einzelnen Stellen Trauben hervor, die in Folge der Jahrhunderte langen Benützung
des Kelches abgegriffen sind. Unter und über der Nodusornamentation ist der Kelch-
fuss von zwei Silberstreifen umschlossen, welche in kleinen Bogenfeldern Darstellun-
gen sinnbildlicher Thiere enthalten, wie Löwe, Einhorn, Pelikan, nebst anderen stili-
sirten Vogelgestalten, während in den Bogenzwickeln das Wort AB, Sei gegrüsst,
wiederholt vorkommt. Auch an diesen Gravirungen ist der Farbenschmelz ver-
schwunden. Die Cuppa ist glatt und ohne Emailschmuck; in ihrer breiten, schalen-
artig gerundeten Gestalt klingt romanische Formgebung nach, wie diess öfter an
frühgothischen Kelchen vorkommt. Der beschriebene Messkelch ist ungeachtet des
geschädigten Zustandes ein seltenes, vorzügliches Prachtstück seiner Art und Ent-
stehungszeit. Mit Recht diente das Werk als Vorbild zweier moderner Kelche, die
am gleichen Ort aufbewahrt werden. Ebendaselbst befinden sich drei silbervergoldete
Patenen; diejenige mit dem Vierpassornament lässt auf Grund metallotechnischer
Anhaltspunkte gleichfalls auf ehemalige FEmailzier schliessen und gehört augen-
scheinlich zum kunstreichen Messkelch.
Ein schmuckvoll ausgestatteter kleiner Schrein aus Buchenholz — 28 cm lang,
25 cm breit, 7 cm hoch — diente ehedem zur Aufbewahrung feiner Linnentücher, der-
gleichen beim Messopfer auf den Altären und über dem grossen Altartuche als
Unterlage für Patene und Kelch in der Weise zur Verwendung gelangen, dass das
zierliche Tuch vom celebrirenden Priester in einer Bursa an den Altar getragen und
nach der heiligen Handlung wieder in die Sakristei zurückgebracht und unter Ver-
schluss gelegt wird. In der Liturgie heisst ein solches Linnentuch Dalla corporalis,
pallium dominicale, auch opertorium dominici corporis und kurz ausgedrückt cor-
porale, woher der Name Korporalienschrein oder Korporalienkästchen für die zur
Bergung dienenden Behälter. — Die Ausschmückung des Wimpfener Korporalien-
schreines ist durchweg malerischer Art und stammt inschriftlich aus dem Jahre 1488,
auf welche Zeitstellung denn auch alle Anzeichen des Stiles und der Technik hin-
weisen. Schon die schmalen seitlichen Aussenflächen des Kästchens sind bemalt und
zeigen auf tiefrothem Grund lebhaft bewegte Rankenornamente mit springenden
Jagdhunden im Gezweige, die hier als Symbole der christlichen Tugenden zu fassen
sind. Auf der äusseren Deckelfläche ist die Kreuzigung dargestellt. Der Vorder-