Krucifixus auf
dem seitherigen
Friedhof
88 EHEMALIGER KREIS WIMPFEN
fragmente dem 15. Jahrhundert an. Die in der Mitte der Platten kaum noch erkennbaren
abgetretenen Reliefbilder von Messkelchen lassen auf Priester-Grabsteine schliessen.
Auch auf dem an der Nordwestgrenze der Stadt, unweit der Neckarhälde ge-
legenen, ebenfalls ausser Gebrauch gesetzten Friedhof, dessen Anlage in’s 16. Jahr-
hundert zurückreicht, erhebt sich ein Krucifix, lebensgross in Stein gehauen, als
Mittelpunkt des ausgedehnten Gottesackers. Mit Verzicht auf die Wiedergabe der
Schächer und Leidtragenden bleibt die Darstellung auf das Bild des Gekreuzigten
eingeschränkt. Gewiss war der Wille des Verfertigers gut und sein Vorhaben
lobenswerth, indem er für sein im fünften Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts geschaffenes
Werk die Christusfigur der Kalvarienberg-Gruppe zum Vorbild nahm; und dies that
der Künstler nicht in sklavischer Nachahmung, sondern in freiem Nachempfinden.
Bis zu einem gewissen Grade ist denn auch sein Streben nach würdiger Darstellung
des leidenden Gottessohnes beachtenswerth. Der vollen Lösung der Aufgabe war er
jedoch nicht gewachsen. Ob seine Individualität allein die Schuld daran trug, oder
ob zu einer Zeit, wo inmitten erschütternder kirchlicher Kämpfe Alles Partei nehmen
musste, die Kraft zu hochkünstlerischer That überhaupt dem Erlöschen nahe war,
bleibe dahingestellt. Genug, der Verfertiger des Friedhofkreuzes war nicht imstande,
dem erhabenen Fluge des Meisters des Kalvarienberges zu folgen. Wir vermissen
an seinem Werke sowohl die grossartige Auffassung wie den feinen Formensinn
seines kunstmächtigen Vorgängers. Die Begabung des Nachfolgers war augenschein-
lich zu wenig entwickelt als dass es seinem Meissel hätte glücken können, auf die
Stufe des vollendeten Kunstschönen sich zu erheben.
Am Fusse des Kreuzstammes erscheint zwischen Todtenschädeln ein geflügelter
Genius, der seine Hände auf zwei Wappenschilde legt. Das Feld des einen .Schildes
zeigt einen gewappneten Arm, der eine Hiebwaffe schwingt; der zweite Schild enthält
als Abzeichen ein Brackenhaupt. Unterhalb dieses Allianzwappens ist ein dritter
Schild angebracht, dessen Wappenbild unkenntlich geworden ist. Der Rand des
Postamentes ist von folgenden beiden Inschriften umzogen:
ANNO DNI 1548 den 27 TAG AVGVSTI HAT DER ERBAR BAS-
TIAN LINK ALTER BVRGERMEISTER DIS CRVCIFIX IN DEM NAMEN
VNSERES LIEBEN HERRN JESVS CHRISTVS VF DER MALSTAT
VERORDNET VND SETZEN LASSEN. — ANNO DNI 1564 den 24
MAJI IST VERSCHIEDEN ERNANNTER SEBASTIAN LINK DER VBER
DIE 48 JOR BVRGERMEISTER VND DES RATS ZV WIMPFEN
GEWESEN IST SEINS ALTERS 68 JOR MINDER 5 WOCHEN 4 TAG
VND 14 STVND DEM GOT GNEDIG SEI AMEN.
Hiernach wäre Sebastian Link mit zwanzig Jahren Bürgermeister geworden.
Hr. Pfarrer Dr. Weitprecht zu Wimpfen äussert sich darüber auf des Verfassers
briefliche Anfrage folgendermassen: »Der Beisatz VND DES RATS (scil. Mitglied)
würde die Möglichkeit offen lassen, dass Link mit 20 Jahren Ratsmitglied und viel-
leicht bald darauf Bürgermeister geworden sei.« Nach L. Frohnhäuser S. 137 und
213 war Sebastian Link vor 1552 neunmal und nach 1552 noch einmal Bürgermeister.
RGa 0)
>