Full text: Ehemaliger Kreis Wimpfen (A, [3])

     
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WIMPFEN I. TH. 209 
»frage längst endgütig entschieden sein. Die Wissenschaft sollte sich daher 
»viel dringender mit der Aufgabe befassen, die allmälige Entfaltung des 
»Spüzbogenstlles an den vaterländischen Bauwerken in technischer und äs- 
»thetischer Beziehung gemeinsam nachzuweisen. Ich bin moralisch überzeugt, 
»dass sich dann ein ununterbrochener Zusammenhang*) in der völlig selbst- 
»ständigen deutschen Kunstthätigkeit des Mittelalters ergeben würde, von dem 
»einfachen Rundbogen an bis zum Auftreten des Spitzbogens als struktives 
» Bauelement. 
Der diess schrieb, ist kein Geringerer als der verewigte Wiener Akademie- 
professor und Dombaumeister Friedrich Freiherr von Schmidt, eine allseitig anerkannte 
Autorität höchsten Ranges in Sachen der Architektur des Mittelalters, ein Meister, 
der auch in der stolzen Reihe der Baudenkmäler des Grossherzogthums Hessen, durch 
die gemeinsam mit seinem Sohn, dem Münchener Hochschulprofessor Freiherr 
Heinrich von Schmidt, vollführte Wiederherstellung der St. Katharinenkirche zu Oppen- 
heim, leuchtende Spuren seines kunstmächtigen Wirkens hinterlassen hat. Wir glauben 
die Veröffentlichung seines Wahrspruches über die Frage nach dem Ursprung der 
deutschen Gothik um so weniger zurückhalten zu sollen, da es im allgemeinen 
Friedrich von Schmidt's Art nicht war, seine Gedanken in Geschriebenes und Ge- 
drucktes zu fassen, sondern dieselben nach dem Beispiel der alten Bauhüttenmeister 
in das zündende lebendige Wort, in die kraftvollen Linien seiner Entwürfe und in 
die monumentale Steinschrift seiner zahlreichen Werke zu kleiden. Hier spricht zudem 
ein Mann, der aus eigenem gewaltigem Schaffen heraus berufen war, sichere Rück- 
schlüsse auf den Charakter der Kunstthätigkeit früherer Zeiten zu machen, berufener 
jedenfalls als Andere, denen die Art des baulichen Erfindens und Schaffens unbe- 
kannt ist. 
Ueberdiess sind manche Ausführungen des inhaltreichen Schriftstückes wohl 
geeignet, die kunstgeschichtliche Stellung des Stiftsmünsters zu Wimpfen im Thal 
mittelbar zu beleuchten, insofern nämlich der gothische Umbau des Gotteshauses in 
die Schlusszeit der Regierung König Ludwigs IX, des Heiligen (1226 bis 1270) fällt, mit- 
hin in die Epoche höchster Ausbildung der französischen Gothik innerhalb des Gebietes 
der sogen. königlichen Domäne mit Paris und Umgebung als Hauptort dieser Kunst- 
bewegung. Was Wunder, wenn damals zahlreiche Künstler aller Herren Länder 
der Christenheit in der villa Parisiensi und den benachbarten Partibus Franciae 
Studirens halber zusammenströmten, ähnlich wie diess heutzutage von unseren Neu- 
renaissancisten zu Rom und in anderen tonangebenden Städten Italiens geschieht! 
*) Die Erforschung dieses Zusammenhanges war schon das eifrige Bestreben des Schreibers 
während seines Aufenthaltes am Niederrhein als Mitarbeiter von Zwirners bei der Vollendung des 
Kölner Domes. Seine Berufungen nach Mailand und Wien drängten die Idee niemals in den 
Hintergrund. Vielmehr blieb sein inniger Wunsch unablässig auf Verwirklichung des schönen 
Gedankens gerichtet, der jahrelang auf unserem gemeinsamen Ferienprogramm stand. »Was 
werden wir allein schon am noch lange nicht genug durchforschten Mittel- und Oberrhein auf beiden 
Seiten des Stromes an Ausbeute gewinnen!« rief er, das Herz voll Sehnsucht aus, als wir uns 
1890 das letzte Mal in Wien sahen. Der Tod trat dazwischen, brachte den lange gehegten Plan 
zu Fall und löste die irdischen Bande einer vierzigjährigen Freundschaft. 
    
  
    
   
   
   
   
   
   
     
    
   
   
   
   
   
     
    
    
    
  
   
    
  
   
   
    
    
  
     
     
      
    
   
  
  
  
  
 
	        
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