Full text: Ehemaliger Kreis Wimpfen (A, [3])

  
  
WIMPFEN I]. TH. 293 
Dynastengeschlechtern von Venningen und von Nippenburg — ein Lilienstengelpaar 
und zwei Vogelschwingen in den Schilden — geschmückt sind. 
Das Tympanon enthält eine Darstellung des Opfertodes auf Golgatha in Hoch- 
relief. Der Gekreuzigte neigt das Haupt im Verscheiden. Die Enden des Lenden- 
tuches sind wie vom Winde bewegt. Niemand wird behaupten wollen, dass die edlen 
Stifter des Portales eine berufene Künstlerhand mit der Ausführung des Krucifixus 
betraut haben. Ein gewisses Streben nach Naturwahrheit ist zwar vorhanden; allein 
die Gestalt des Menschensohnes ist im allgemeinen zu gedrungen und zeigt auch in 
den Einzelformen, dass dem Künstler noch unendlich viel zum vollen Verständniss 
der Anatomie des menschlichen Körpers fehlte. Ueber dem naturalistischen Ast- 
werk des Marterpfahles schwebt ein Spruchband, worauf in gothischen Minuskeln 
die Abbreviatur i-1-rY-i. der Pilatusinschrift eingemeisselt it. Am Fusse des 
Kreuzes symbolisiren ein Schädel (Adamschädel genannt) und Gebeine den Sieg über 
Sünde und Tod. — An den Seiten des Erlösers erscheinen Maria und Johannes, 
erstere stehend, letzterer knieend. Die Schmerzensmutter hat die Hände gefaltet; 
ein Schleier wallt vom leidensvollen Haupte auf den weiten Mantel hernieder, dessen 
ruhiger Faltenwurf in erfreulichem Gegensatz steht zu der sonst in der spätgothischen 
Bildkunst üblichen brüchig bewegten Gewandbehandlung. Dieses Vorzuges unge- 
achtet ist die Madonnenfigur nicht frei von Mängeln, insofern auch hier die Körper- 
verhältnisse an Unfreiheit und Gedrungenheit leiden. Besser ist es in diesem Be- 
tracht mit der Figur des Lieblingsjüngers bestellt, welcher, die Rechte auf die 
Brust gelegt und in der Linken das Evangeliar als Attribut tragend, mit erhobenem 
Haupte zum Erlöser emporblickt. Die Gewandfalten sind von minder günstigem 
Wurf als bei der Madonna. 
An die beiden Langseiten des Aussenbaues lehnen sich je zwei Strebepfeiler 
von einer den Streben der Westfassade verwandten Struktur. Auf jeder Langseite 
führt ein Zugang in den Innenbau. Während aber der südliche an den Gottesacker 
stossende Eingang jeglicher plastischen Zier entbehrt und sogar seine baulichen 
Einzelformen auf breite Auskehlungen der Thürgewände mit Stabwerkkreuzung im 
Scheitel eingeschränkt bleiben, entfaltet das der Landstrasse zugekehrte Nord- 
portal eine Vereinigung architektonischer und plastischer Momente mit so feinem 
Gefühl für räumliche Wirkung, Klarheit der Anordnung, Reinheit der Linien und 
Harmonie des ganzen Bautheiles, dass selbst der strengste Purist in gothischen 
Kragen dieser glanzvollen spätgothischen Schöpfung seine rückhaltlose Anerkennung 
nicht versagen wird. Leider ist das kunstreiche Werk von der zerstörenden Zeit 
und der Unbill der Menschen nicht verschont geblieben. 
An diesem Portal (Fig. 176), dessen tektonische und skulpturale Ausstattung 
die nördliche Hochwand zur eigentlichen Schauseite der Kirche erhebt, lassen zu- 
nächst vier kräftige Tragsteine über dem Giebel erkennen, dass den monumentalen 
Eingang ehedem eine Vorhalle schützte, deren Ausdehnung nach vorn nicht mehr 
erkennbar ist. Von der bildnerischen Zier dieses Bautheiles sind jedoch zwei 
ikonisch wie epigraphisch beachtenswerthe Konsolen erhalten, die an den Seiten des 
Einganges aus dem Mauerwerk vortreten und augenscheinlich als Stützenträger des 
Oberbaues fungirten. Beide Konsolen zeigen Hochreliefbüsten von beschwingten 
        
  
   
    
     
  
  
  
  
   
    
  
  
  
  
   
    
     
  
  
  
  
  
  
    
   
    
  
   
        
     
Nordportal 
Vorhalle 
  
	        
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