58 EHEMALIGER KREIS WIMPFEN
der figürlichen Motive zur vollen Geltung. St. Petrus, in der Auffassung als Träger
der Binde- und Löseschlüssel, empfängt die der himmlischen Belohnung Theilhaftigen
und schliesst sich in Ausdruck, Gestalt und Gewandung den drei Hauptfiguren im
Bogenschluss des Gemäldes würdig an. Alles Interesse beansprucht aber an dieser
Stelle die nochmals erscheinende Madonna, welche als mater misericordiae, Mutter
der Barmherzigkeit, mit dem Ausdruck mütterlicher Sorgfalt im theilnahmvollen
Antlitz, ihren faltenreichen Mantel weit über die in’s himmlische Paradies einziehende
Schaar der Seligen, mit Adam und Eva im Vordergrunde, ausbreitet. — An der
Seite der Verdammniss gehört nur die auf dem vielköpfigen Ungeheuer reitende
Babylonierin in die Zeit der Entstehung des Bildes. Der grösste Theil des Höllen-
schlundes und der Gruppe der den Gräbern entsteigenden Verstorbenen war bei der
Freilegung des Gemäldes — jedenfalls in Folge der ehemals an dieser Stelle errich-
teten Emporenanlage — bis zur Unkenntlichkeit zerstört, wurde aber von der Hand
des restaurirenden Künstlers nach Vorbildern der Weltgerichtsdarstellungen zu Ulm,
Nördlingen und Weilheim mit grossem Fleiss ergänzt. Nur die Papstgestalt am
obersten Theil des Höllenrachens schaut in der jetzt schon wieder fast unkenntlich
gewordenen Erneuerung etwas befremdlich aus ihrer Umgebung hervor. Nicht als
ob der Oberpriester gegen den ihm zugedachten Ort der Verdammniss gefeit wäre.
Grade das Mittelalter kannte in Bezug auf Himmelslohn und Höllenstrafen keinen
Unterschied der Stände und liebte es sogar, die Gleichheit Aller vor dem Weltrichter
scharf zu betonen. So lässt Dante seinen Bonifaz VII. weidlich in der Hölle braten,
und Dürer’s Phantasiethätigkeit zeigt, dass am jüngsten Tage auch der Kaiser nicht
vor der ewigen Verdammniss sicher ist. Was im ergänzten Wimpfener Bilde an der
vereinzelt auftretenden Papstgestalt besonders befremdet, das ist die Stilisirung der
Mitra, welche nicht die zugespitzte Form des Mittelalters, sondern die eigenthümliche
kuppelartige Ausbauchung nach oben hat, welche erst an Werken der Kunst der
neueren Zeit auftritt. Auch das Kostüm hat seine unabänderlichen historischen Ge-
setze, die nicht ungeahndet ausser Acht gelassen werden dürfen. — Am unteren
Rande trägt das Werk die Inschrift: » Dieses Gemälde wurde aufgefunden und von
der Kalktünche befreit i. J. 1869, ergänst und neu gemalt 1870 durch August
Noack aus Darmstadt.« In Folge der Feuchtigkeit des Mauerwerkes hat die Er-
neuerung leider schon an den unteren Parthien gelitten. Unsere Abbildung ist nach
einer Oelkopie des Herrn Professor Noack angefertigt.*)
Wer der Meister des Wimpfener jüngsten Gerichts ist? Wir wissen es nicht.
Soviel wagen wir indess zu behaupten, dass die Kunstgeschichte bei Behandlung der
schwäbischen Malerschule, welche allem Forschungseifer zum Trotz noch immer
*) Auch im südlichen Seitenschiff war die östliche Hochwand, an der Stelle wo das Flecken-
stein-Monument seine neuere Aufstellung fand, mit malerischem Schmuck ausgestattet als Pendant
zum jüngsten Gericht. Vor der letzten Erneuerung der Kirche sah man daselbst Ueberreste eines
kolossalen St. Christoph mit dem Jesuskinde auf den Schultern und die Jahrzahl 1515 daneben,
Die Analogie der Räumlichkeit und diese Jahrzahl legt den Schluss auf das gleiche Zeitverhältniss
des jüngsten Gerichts und auf den gleichen Meister sehr nahe, Genaueres über diese und andere
verschwundenen Wandmalereien im Langhause der Stadtkirche s. in »v. Lorent, Wimpfen am Neckar«
S: 194.U..196,
m
zu
g
st
d:
P
G
m