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Über die Entftehungszeit der Befeftigung der Vorftadt fehlen alle Anhaltspunkte,
aber fie darf wohl nicht viel fpäter angefegt werden. Sie hat die Form eines Halb-
kreifes, deffen Durchmeffer fich an die Südfeite der Altftadt und den Lauterbach an-
lehnt, und war ebenfalls von allen Seiten mit Mauern umgeben, fodaß zwifchen der
Südmauer der Altftadt und der Nordmauer der Vorftadt ein von dem Lauterbach durch-
floffener Zwinger entftand. Im Mittelalter wurde diefer von den ftädtifchen Armbruft-
[hüßgen zu ihren Schießübungen benugt. Auch die Vorftadt wurde durch die in ihrer
Mitte nach Nordoften umgebrochene Bergftraße in zwei Hälften, Vorftadt-Oberviertel
und Vorftadt-Unterviertel, zerlegt. Den Eingang im Süden deckte der Heppenheimer-
torturm (1), 1836 abgebrochen, den Ausgang gegenüber dem Mitteltor ebenfalls
ein Turm (2a), der noch in feinen Fundamenten unter dem Pflafter nachweisbar ift.
Nicht ganz aufgeklärt find die Verhältniffe an der Südmauer. Diefer und dem
Bach entlang führte eine Straße in weft-öftlicher Richtung.
Noch vor Erbauung der jetzt nachweisbaren nördlichen Vorftadtmauer beftanden
am Weft- und Oftende zwei fich in ihrer Größe und Einrichtung genau entfprechende
Toranlagen, die Rinnentore (5 und 7). Die bisherige Annahme, daß fie als Stau-
vorrichtungen gedient hätten, findet durch die örtlichen Verhältniffe und die jett vor-
handenen Refte keine genügende Beftätigung. Wahrfcheinlicher ift es, daß fie in
Zeiten der Gefahr nur einer Sperrung der Straße und fefteren Vereinigung der durch
die Straße und den Bach getrennten Altftadt und Vorftadt dienten. Ihren Namen
hatten fie von den auf beiden Seiten der Toröffnung fauber in den Sandftein ein-
gehauenen vertikalen Rinnen zur Aufnahme der Verfchlußbohlen. Im Often deckte
der Auenturm (6), 1800 abgebrochen, den Eintritt des Lauterbaches.
Zwifchen Auenturm und Heppenheimer Tor ftand der runde Hohbergturm 6),
1504 Hoenbergsthorn genannt, 1908 abgebrochen, und ein viereckiger Turm ohne
Namen (9), der jegt in ein Häuschen umgebaut ift. Beide Türme fehlen auffallender-
weife auf dem Merianifchen Bild von 1643. Aus den Rechnungen des Baumeifters
Hans Hößel vom Jahre 1504 (B. A.: B, 1. Archiv f. h. Gefch. u. A. X, 408 ff.) über
die Vorbereitungsarbeiten vor der Belagerung durch Wilhelm II. von Heffen und
die Wiederherftellungsarbeiten nach der Belagerung geht hervor, daß damals die
Befeftigungen der Vorftadt noch vollftändig imftand waren. Bei der Einnahme der
Stadt durch Franzofen und Schweden 1644 und der nachfolgenden Belagerung und
Eroberung durch die Bayern fpielen fie fchon keine Rolle mehr, und im Laufe des
17. Jahrhunderts verlor die ganze Stadtbefeftigung überhaupt Wert und Bedeutung.
Von der befchriebenen Befeftigung find heute noch vorhanden:
1. Von der Mauer Refte am nördlichen Ende der Weftfeite und vom Dalberger
Turm aus (Nordweftecke) öftlich; ferner zwifchen dem Auerbacher Tor und der Nord-
oftecke (parallel zur Obergaffe), an der Oftfeite beim Bürgerturm (f. unten) und am
Klofterhof; fchließlich zwifchen der Mittelbrücke und dem weftlichen Rinnentor (Süd-
feite der Altftadt), von der Vorftadtmauer nur noch fehr fpärliche Refte weftlich des
ehemaligen Heppenheimer Tores.
2. Von Türmen: der Dalberger Turm, der Bürgerturm („Blauer“ Turm) und die
beiden Rinnentore in Reften. Der Dalberger Turm, fiehe „Dalberger Hof.“
Der Bürgerturm, aus der Feftungsmauer vorfpringend, ift auf quadratifchem
Grundriß aus Bruchfteinen fChlicht aufgeführt. Im Innern liegt jest ein Hochbehälter;
der Turm war früher mit roten Ziegeln gedeckt, jegt hat er kein Dach. Die Zinnen find
modern erneuert. Nach dem Abbruch des Auerbacher Tores (1836) wurde an diefem
Turm die S.55 abgedruckte Infchrifttafel (79><105 cm) von 1504 eingemauert.