Wetterhahn
92 Neumanns Arbeiten am Weftbau
Gefchoffe. Von den Ecken des erften Sockels aus fteigen dreifeitige Pyramiden, von
den Ecken des zweiten Sockels Obelisken in die Höhe, beider Seitenflächen find reich
verziert; von ihrer Spitge zieht fich unten ein lofes Eichenlaubgehänge, oben ein
ftraffer gewundenes zur Turmwand hin, faft wie Strebewerk wirkend. Vor dem Sockel
jedes Obelisken fit ein Cherub mit aufwärts gebogenen Flügeln. Zwifchen den Kelch-
blättern der Haube fteht abwechfelnd eine Büfte, aus deren Hinterkopf ein wedel-
ähnliches Gebilde fenkrecht in die Höhe fteigt, und eine kreisrunde Öffnung, um die
fich im Halbkreife ein Laubgewinde legt. Auch den fCchlank auffteigenden Knauf zieren
wieder Cherubim und knofpenähnliche Gebilde. Vafen, Pyramiden, Obelisken und die
Figuren waren aus Sandftein, alle Gehänge aus Schmiedeeifen. Aus den Pyramiden hat
die Stilreinigung gotifierende Fialen, aus den Obelisken kreuzblumenartige Gebilde
gemacht; erhalten haben fich die geflügelten Engelsköpfe und die Büften vom Sockel
des zweiten Gefchoffes aufwärts. Die Abwäfferung beforgen aus Kupfer gefchlagene
Wafferfpeier, die auf den Ecken des gotifchen Gefchoffes fitzen (nach Schneider Sp. 130
wurden fie 1845 zugleich mit den Zifferblättern befeitigt; es ift aber nicht ausge-
fchloffen, daß fie damals nur zugleich mit dem Galeriegeländer höher hinaufgerückt
wurden). Es find phantaftifche Tiergeftalten: Hund, HirfCh, Eber, Bock, Widder u. a.,
alle aus Kupfer getrieben. Mit dem bei aller Einfachheit doch gefälligen Wetterhahne
verglichen, find es recht derbe Arbeiten.
Was man im Jahre 1845 bei der Stilreinigung aus Neumanns luftigem Schmucke
gemacht hat, ift [fhon angedeutet worden; noch deutlicher zeigt es ein Vergleich der
älteren Anficht (Abb. 45) mit dem heutigen Zuftande. So eng fich auch Neumann an
die gegebenen älteren Formen anfchloß — bei den Seitentürmen zeigen ihm die ro-
manifchen, beim Hauptturm das gotifche Gefchoß den Weg —, immer aber wahrt er
fich doch feine künftlerifche Selbftändigkeit. Es ift intereffant, zu beobachten, wie er
fogar bei all diefem aufgefegten Schmuckwerk doch wieder fo ganz mit dem Gefchmacke
feiner Zeit geht, „modern“ im heutigen Sinne bleibt. Gerade mit den 70er Jahren
des 18. Jahrhunderts fegt in Mainz der Übergang vom Rokoko zum Louis XVI. ein: mit
den ftraff geflochtenen Gehängen, den antikifchen Vafen, den Obelisken und Pyra-
miden u. a. m. trägt Neumann diefem ftiliftifchen Wandel Rechnung. Und dabei
f[chließt er fich mit all diefem dem gotifchen Formenempfinden doch weit beffer an als
die Zeit der Romantik mit ihren fChulgerechten Fialen und Kreuzblumen, mit denen
fie den Geift der Gotik erfaßt zu haben glaubte.
Verwitterung und nicht weniger die mit unzulänglichen Mitteln ausgeführten Er-
neuerungen und Ausbefferungen feit dem Jahre 1845 haben auch beim Auffage des
Vierungsturmes einen trümmerhaften Zuftand herbeigeführt.
Aus Neumanns Zeit ftammt auch der heute noch den Turm bekrönende Wetter-
hahn. Eine eingehende Befchreibung und zugleich eine ausführliche Schilderung
feiner wechfelvollen Schickfale bietet Fr. Schneiders anziehend gefChriebenes Schrift-
chen „Der Wetterhahn auf dem Dome zu Mainz“, Mainz 1901. Hier finden fich auch
die verfchiedenen in den Körper des Hahnes eingelegten älteren und neueren Ur-
kunden wiedergegeben. Die legte Wiederherftellung des Hahnes, die fich hauptfäch-
lich auf eine Sicherung des fChadhaft gewordenen rechten Beines und eine neue Öl€-
vergoldung erftreckte, fand im Jahre 1901 ftatt.
Der Hahn ift einfchließlich des Ständers 1 m hoch. Kopf, Rumpf und Beine find
körperhaft aus Kupferblech getrieben. Nur der Schwanz ift aus einem Stück Blech
gefchnitten und an den Leib genietet. Den einzelnen Schwanzfedern ift eine leichte
Wölbung gegeben, damit fie den Winddruck beffer auffangen. Der ganze Hahn war