Kleine
Kapitelftube
Große
Kapitelftube
414 Eigentliche Stiftsgebäude: Kapitelftube
Dagegen hat fich der urfprüngliche Zuftand weit beffer erhalten in dem Anbau,
den Bourdon als „parvum seu ordinarium capituli hypocaustum“ bezeichnet. Es ift
ein ftattlicher turmartiger, zweigefchoffiger Bau (in unferem Lageplan unter A 4 aufge-
führt), nahezu quadratifch, mit einem fpigen Pyramidendach gedeckt. An der Weft- und
an der Südfeite ift die Mauer durch je drei Strebepfeiler verftärkt, zwei breite an
den Außenkanten, einen fthmäleren in der Mitte; fie find drei SteinfChichten unter
dem hölzernen Gefims fchräg abgedacht. In jedem Gefchoß finden fich auf jeder Seite
zwei [Chmalhohe Rechteckfenfter, deren Gewände einfach gekehlt find. Unter den
Fenftern geht eine Schicht roter Sandfteinquadern ringsum durch. Sonft find die
Mauern aus Bruchftein errichtet und verpustt, die Gliederungen aus rotem Sandftein.
An der Weftfeite ift im Obergefchoß nahe der Südweftecke ein — leerer Wappen-
ftein eingemauert. Die Oft- und die Nordfeite ftehen nicht frei: nördlich [chließt,
wie wir gefehen haben, das Kapitelhaus an und öftlich ein kleinerer Bau, von dem
noch die Rede fein wird. Auch befindet fich hier, im Winkel zwifchen Kapitelhaus
und Kapitelftube, die Treppe, die natürlich zur Kapitelftube von Anfang an gehörte. Das
Innere diefer „kleineren Kapitelftube“ ift zweigefchoffig und war unten und oben ge-
wölbt. Im Untergefchoß ift die Wölbung freilich durch eine 1731 eingezogene Holz- und
Gipsdecke unfichtbar gemacht worden.!) Aber im Obergefchoß ift fie noch erhalten: ein
zierliches Sterngewölbe auf Wandkonfolen. Das Profil der Rippen ift diefes:
An fieben von den acht Konfolen ift das Domkapitelfihe Wappen (eins ift ab- A
gefChlagen); die achte Konfole, in der Ecke über dem Eingang, ift leer. Schluß- )
fteine finden fich nicht. Die im Stichbogen gewölbten Fenfter find ganz glatt \r
in die Wand gefchnitten. Die Treppe in dem anftoßenden Turm führt recht-
winklig viermal gebrochen um einen viereckigen Mittelpfeiler empor. Sie
wird durch unregelmäßig figende kleine Fenfter erhellt und hat ein eigenes [piß-
pyramidales Dach.
Diefe kleinere Kapitelftube ift nach Bourdon, der befonders ihren Fenfterf&hmuck
rühmt, 1489 errichtet worden, was fehr wohl ftimmen kann. Jünger war der an ihre
Oftfeite neben dem Treppenturm angefchloffene Anbau. Ein Protokoll des Dom-
kapitels vom 29. Dezember 1588 enthält den Befchluß, im kommenden Frühjahr nach
dem vorgelegten Riß und Anfchlag eine Schreiberei und Regiftratur neben der kleinen
Kapitelftube erbauen zu laffen. Das kann nur unfer Anbau fein. Er ift wiederum
zweigefthoffig, unten und oben ganz fchlicht mit Kreuzgewölben eingewölbt. Der un-
tere Raum ift von Often mittels einer dreiteiligen Fenftergruppe, oben mittels eines
Doppelfenfters beleuchtet. Beide Räume find von der Treppe her zugänglich. Das
Dach ift ein Schleppdach.
Es ift noch ein Wort zu fagen über den innerhalb des einftigen großen Kapitel-
haufes abgetrennten Oftteil (A 3 auf unferem Lageplan Tafel 77). Daß die heutige
Trennungsmauer nicht urfprünglich fein kann, wurde [C&hon oben (S.412) gefagt. Aber fie
[&heint immerhin doch dem fpäteren 16. Jahrhundert anzugehören. Hier waren näm-
lich die alten Wandvorlagen der Nordmauer in eine Wandverftärkung eingebettet und
überputt. Auf diefem Put finden fich noch Refte einer größeren allegorifchen Malerei.
Man erkennt Spuren von Frauengeftalten und lieft die Infchriften GLÜCK und ARMVT.
Diefe Malereien können fehr wohl aus dem letten Drittel des 16. Jahrhunderts ftam-
men. Refte desfelben Putes finden fich nun auch an der Zwifchenwand (der Weftwand
des Raumes), Und es liegt nach alledem am nächften anzunehmen, daß diefer Raum
von der Halle abgetrennt wurde und feine noch heute erkennbare Form mit flacher
‘) Vgl. Friedrich Schneider, Wennemar von Bodelfchwingh. Freiburg 1907. S. 36.