KAICHEN 157
solle. Ein kaiserliches Mandat von 1475 an den Obergreven, die Dorfgreven und die ganze Gemeinde
der Grafschaft und des freien Gerichts Kaichen bestätigte der Burg Friedberg diese Machtvoll-
kommenheit, die vom Obergrafen »bei dem Dorfe Kaichen auf dem Felde, da in Vorzeiten eine
Linde gestanden hat und da man jährlich und gemeynlich eyn obersten Greven in selbigem Gericht
zu kiesen pfleget,« anerkannt wurde.
So hat sich allmählich aus dem Schutzrecht, welches der Burg Friedberg nur
in Gemeinschaft mit Andern zustand, eine Landesherrlichkeit der Burg entwickelt.
Im Jahre 1806 kam das Gebiet des Freigerichts unter hessische Hoheit und 1819
nach dem Tode des letzten Burggrafen wurde es ein unmittelbarer Landestheil des
Grossherzogthums.
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Fig. 96. Freigerichtsstuhl zu Kaichen.
Das Kaichener Freigericht tagte nach altdeutscher Art unter freiem Himmel; Der Freistuhl
das Schutzdach bildete eine Linde. Noch heute bezeichnen ein ehrwürdiger Linden-
baum, Bänke, ein Tisch und eine Säulenbasis, sämmtlich aus Stein, vor. der
Südseite des Dorfes auf einem Hügel mit freier Umschau, da wo eine alte Wege-
kreuzung ist, die Stätte des obersten Gerichtes der Grafschaft. (Fig. 96.) Die drei
Bänke, von denen jedoch nur ein Theil alt ist, sind rechtwinkelig zu einander
gestellt; vor der offenen Westseite steht heute auf vierseitiger unregelmässiger
Platte und mit dieser aus einem Stücke gehauen, eine aus Platte und Schräge zu-
sammengesetzte runde Basis mit dem vierseitigen Zapfenloch für den Stamm einer
Säule, die beim Bau der angrenzenden Chaussee gefunden sein soll. In deı Mitte
dieser Anlage steht noch der achteckige Steintisch, dessen Fläche an den Kanten
nach und nach durch Geräthe abgeschliffen ist. Hinter der Ostbank beschattet eine
alte Linde das seltene, ehrwürdige Denkmal des alten deutschen Gerichtsverfahrens.!)
1) Zuerst aufgenommen und veröffentlicht in den Denkmälern der deutschen Baukunst von dem Hessischen
Verein für die Aufnahme mittelalterlicher Kunstwerke von Wiessel.