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abenteuerreichen Zeit konnte die kleine Herrschaft kein ausreichendes Bethäti-
gungsfeld sein — so hat das Städtchen doch die belebende Wirkung einer Hof-
haltung gespürt und mancherlei Vorteile daraus gezogen. Die Solmsische Herrschaft
hatte schon von Anbeginn an ihre Aufmerksamkeit diesem Platz zugewendet. Als
sie ihn übernahm, war er mit einer Burg, Mauern, Graben, Pforten, Brücken U.S.w.
wohl versehen, was alles die Bürgerschaft in gutem Zustand zu erhalten hatte.
Die Bürger waren auch zur Stellung der Wachen und zu Frohndiensten bei einem
etwaigen Burg- oder Schloßbau verpflichtet!). Solche Dienste mag sie bei dem Bau
der Jahre 1454—1456 geleistet haben. Diese gewiß nicht leichten Lasten wurden
im Lauf der Zeit gemildert, und das Mittel dazu bot der Weinschank. Aus dem
Weinmonopol zogen die Städte ehemals gute Einnahmen. Hungen erhielt es 1461
von Graf Otto zugleich mit dem Weggeld auf zehn Jahre, mußte aber jährlich
noch 100 Gulden über die gewöhnlichen Leistungen hinaus am Schloß verbauen?).
Vermutlich wurde diese Übertragung immer wieder erneuert, bis im Jahre 1581
Graf Konrad mit der Stadt ein neues Abkommen traf. Danach sollte die Stadt
zu mehr Diensten, als zum Burgbau nötig, nicht herangezogen werden und über-
haupt nicht mehr zu leisten haben, als die Städte Lich und Laubach ihren Herr-
schaften. Dafür wird ihr der Weinschank für alle Zeiten überlassen. Der daraus
entspringende Nutzen soll zum Besten der Stadt verwendet werden?). Aber Graf
Otto d. J. zog 1608 das Privilegium wieder an sich, indem er zugleich die Ver-
pflichtung, die Stadtbauten in gutem Zustand zu erhalten, von der Bürgerschaft
übernahm‘). Für ihren Betrieb hatte die Stadt ein Weinhaus gebaut. Auch dieses
übernahm der Graf noch wenige Tage vor seinem Tode und mit ihm die städtischen
Verpflichtungen gegenüber den Kirchen zu Münzenberg, Lich und Hungen im
Betrage von 603 Mark KapitaP>).
“ine weitere Förderung bedeutete das Marktprivilegium, das Kaiser Max I.
im Jahre 1494 dem damaligen Grafen Otto für Hungen verliehen hatte®). Handel
und Gewerbe konnten gedeihen, und der Wohlstand der Bewohner hob sich”).
Ein Zeichen dieses Fortschritts ist die Blüte des Schützenwesens, das schon 1512
seine Anfänge in den Armbrüstern zeigt; 1590 sind es Büchsenschützen, später
geführt von Leutnant und Wachtmeister. Noch heute bewahrt die Stadt ein
zierlich gearbeitetes Schützenkleinod.
Ein altes, auch aus der Zeit der Renaissance stammendes Rathaus ist längst
abgebrochen. Es war, wie uns eine von dem Braunfelsischen Archivar Schaum?)
aufbewahrte Inschrift (s. u.) mitteilt, auf Kosten des Johannes Aemilii von Meister
!) Urkunde Werners v. Falkenstein, Erzbischofs v. Trier, 1410 Juli 19 Lich. Abschrift d. 17. Jahr-
hunderts im Archiv zu Braunfels. — Die Stadt hat nach ihr außerdem 220 Gulden Bede zu zahlen und
ist der Landfolge unterworfen.
?) Or.-Entwurf im F. Archiv zu Braunfels.
°) Abschrift ebenda. Einige einschränkende Bedingungen sind: der Herren- oder Bannwein soll beim
Stadtwirt eingelegt und verzapft werden; von jedem Fuder fremder Weine sind 2 Gulden an die Herrschaft
zu zahlen; der Rat soll auf guten Wein halten und billig verkaufen; jeder Bürger darf Wein verzapfen,
muß ihn aber vom Stadtwirt beziehen.
4) Abschrift im Archiv Braunfels.
°) Amtsprotokoll v. 1610. Ebendort.
©) R. Graf Solms, a.a. ©. S. 49
”) Stadtrechnungen, aus denen Kellnerin den Quartalblättern 1885 Nr. 2f. einige Mitteilungen macht.
‘) Im Repertorium des Braunfelser Archivs. IV, 9720f.