Lich 241
Köpfen Mond und Reichsapfel. Zu oberst der Reichsadler, im rechten Fang das
Szepter, im linken das Schwert haltend!). Das Ganze — ohne den Arm mit der
Sonne und ohne Knauf 1,75 m breit, 2,50:m hoch — em prächtiger Aufbau,
in den gut verteilten Durchbrechungen wirkungsvoll vom Himmel sich abhebend.
Man nimmt an, daß Graf Reinhard, der durch die Befestigung Ingolstadts
und die Entfestigung Gießens auf dem Gebiete des Festungswesens bekannt ge-
worden ist, auch die Befestigung seiner Vaterstadt angelegt hat?). In ihrem ur-
sprünglichen Bestand freilich gehen Mauern und Türme in das Mittelalter zurück.
Und auch die neuen Befestigungen aus dem Anfang des 16. Jhdts. waren vor dem
Regierungsantritt Reinhards fertig. Im Vordergrund des einen Stadtbildes vom
Meister HD aus dem Jahre 1545 ist ein Kriegsrat dargestellt. Man wird nicht
fehl gehen, wenn man nach der Ähnlichkeit mit den Gestalten der Grabdenkmäiler
in der Stiftskirche die beiden Männer, die in der Mitte unter dem Baum sitzen,
als die Grafen Philipp (1484—1544) und Reinhard (1544—1562) anspricht. Auf
diesem Bilde sind Mauern, Gräben und Wälle bereits so vorhanden, wie wir sie
auf dem Meißnerschen und dem Merianschen Bilde sehen, und wie sie in der
Hauptsache noch bis in die letzten Jahre bestanden haben. Und manche Einzelheit
auf den Bildern von Hans Döring, z.B. die Form der Giebel des Untertores,
weist mit Sicherheit in das zweite Viertel des 16. Jhdts. Die neuen Befestigungen,
deren endgültige Beseitigung in der Gegenwart nicht genug beklagt werden kann,
waren also vor 1545 geschaffen, in der Regierungszeit des Grafen Philipp. Die Mit-
wirkung, ja man kann sagen die Urheberschaft des Grafen Reinhard, der erst mit
53 Jahren zur Regierung gelangte, muß man trotzdem annehmen. Abb. 175.
Das Bild aber, auf dem Graf Reinhard und sein eben erst verstorbener Bruder
vor der neu befestigten Stadt abgebildet sind, wird man geradezu als Urkunde
für die Vollendung der Arbeiten und als Denkmal für ihre Urheber ansehen dürfen.
!) Nach Mitteilung des Archivrates Dr. Fr. Uhlhorn in Marburg (Zentralstelle der Solmsischen
Archive in der Wetterau) kommen Szepter und Schwert in den Fängen des Adlers in Kaisersiegeln, also
auch in Reichswappen, erst von 1673 an vor. Schwert und Szepter im rechten Fang, Reichsapfel im linken
sogar erst von 1711 an. Die andere Verteilung von Reichsapfel und Schwert bei der Wetterfahne mag nach
Dr. U. dadurch bedingt sein, .daß man die dem Halbmond gegenübergesetzte Sonne in den Reichsapfel
verwandelte. Jedenfalls könnte die Wetterfahne wegen der Abzeichen erst in diese Zeit, nach 1711, datiert
werden.
Die Form des Schildes weist aber in die erste Hälfte des 17. Jhdts., und die auffallende Verbindung
von Reichsadler und Solmsischen Löwen erinnert an die gleiche Vereinigung auf der Orgel in der Stifts-
kirche (Abb. 200), die 1633 geschaffen zu sein scheint.
Der Zwiespalt wird aufgeklärt durch die Urkunden, die im Jahre 1932 dem Knauf entnommen und
nach Beifügung einer neuen, von I. Schneider verfaßten Urkunde wieder eingelegt wurden. Die Urkunden
sind datiert vom 23. August 1704, 4. Mai 1723, 7. August 1787, 30. August 1850, 25. April 1875, 13.Okt.1892
und 1. Nov. 1932.
In der ersten Urkunde ist zu lesen, daß „Fahne, Knopf, Thurn und die ganze Stadt... bisher etliche
hundert und mehr Jahre gestanden‘ — also auch die Fahne —, und ferner ‚pro nota‘“, daß damals auf
der Brust des Adlers ein großes F II gestanden habe, ‚so eine Bedeutung des damaligen römischen Kaisers
Ferdinandi secundi hat, welcher Buchstabe wieder vergüldet worden. Auf dem Schild aber ist das solmsi-
sche Wappen gemahlet zu sehen.‘ Ferdinand II. regierte 1619— 1637. 1723 wurde eine neue Helmstange
eingezogen und die Fahne ausgebessert und „verwahret‘, und 1787 wiederum die Helmstange ersetzt.
Dr. Uhlhorn ist der Ansicht, daß bei einer bald nach 1723 vorgenommenen umfassenden, uns aber
nicht überlieferten Ausbesserung die schon seit längerer Zeit bestehende Fahne unter Beibehaltung des
Schildes und der allgemeinen Anordnung dern veränderten Geschmack angepaßt wurde und bei dieser Ge-
legenheit die neuen heraldischen Abzeichen erhielt.
®) Kalender Hessenkunst 1914, Dr. Großmann, Graf Philipp zu Solms.
16
Dann