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Schiffenberg
über die für Gießens und seiner Umgebung frühe Geschichte so wichtigen Schiffen-
berger Geschehnisse.
Es ist bekannt, daß die Gegend am Knie der Lahn, diesseits und jenseits
des Flusses, ums Jahr 1000 zur Grafschaft Gleiberg gehört hat. Auf dem linken
Ufer des Flusses, hinter seiner Niederung, der Burg Gleiberg gegenüber, erstreckte
sich der große Wiesecker Wald, der die heutigen Gemarkungen von Gießen (teil-
weise), Schiffenberg, Annerod, Hausen, Steinbach, Garbenteich, Watzenborn und
Steinberg umschloß. Teile dieses Waldes besaß — vermutlich als Wittum — in
der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts die Gräfin Clementia, Witwe Konrads I.
von Luxemburg, in zweiter Ehe vermählt mit dem Grafen Gerhard von Geldern,
die aber trotzdem mit Bezug auf die aus ihrer Ehe mit Konrad stammenden
Gleiperger Güter Gräfin von Gleiberg genannt wurde. Mitten in dem Wald erhob
sich als flacher Rücken der Schiffenberg (1129 Skephenburk)!), in dessen Nähe
die Roddörfer Annerod, Konradsrod und Hausen entstanden waren. Abgesehen
von der Sorge für ihr und der Ihrigen Seelenheil mochte der Gedanke, diesen und
etwa künftig noch entstehenden Siedlungen einen kirchlichen Mittelpunkt zu
geben, die Gräfin bewogen haben, im Juni 1129 den Berg dem Erzbischof Megener
von Trier zu schenken und noch in demselben Jahre die Gründung eines Klosters
auf seinem waldigen Gipfel daran zu knüpfen. Zu dem ersten Akte hatten die
Kinder der Stifterin, Graf Wilhelm von Luxemburg und Irmensindis, zum zweiten
eine Verwandte als Besitzerin eines Viertels am Wiesecker Wald, die Pfalzgräfin
Gertrud, Gemahlin des Grafen Otto von Rheineck, ihre Zustimmung gegeben.
Dadurch, daß vor der Errichtung des Klosters das zu seiner Ausstattung bestimmte
Gut, 22 Mansen, durch einen besonderen Akt der Trierer Kirche geschenkt wurde,
wollte man die Unabhängigkeit der Stiftung von der Stifterfamilie sichern, wollte
man vermeiden, daß das Kloster jemals als deren Eigenkirche angesprochen
werden konnte. Clementia behielt ihrer Familie lediglich die Vogtei vor, die jedes-
mal der älteste Erbe, und zwar ohne Gegenleistungen, ausüben sollte. Mit der
Grafschaft Gießen ging auch das Vogteirecht am Schiffenberg aus dem Besitz
der Pfalzgrafen von Tübingen an die Landgrafschaft Hessen über.
Der Orden, dem die Stiftung überwiesen wurde, waren die Augustiner-
Chorherren. Nicht wie die meisten anderen Orden aus mönchisch-asketischen
Niederlassungen entstanden, haben sie ihren Ursprung in dem gemeinsamen
apostolischen Leben, das viele Kanonikatsstifte gehorsam einer Verordnung der
Lateransynode vom Jahre 1059 gemäß der sog. Regel des heiligen Augustin
führten. Diese Regel ist nicht vom hl. Augustinus verfaßt, sie wurde im 8. bis
9. Jahrhundert aus seinen Schriften zusammengestellt und ‚bildete fortan ge-
wöhnlich die Norm für das gemeinsame apostolische Leben (vita communis, vita
apostolica communiter conversanlium, vita communis perfecla) der Kleriker.‘‘ Die-
jenigen Kanonikate, deren Mitglieder sich auf diese Lebensweise durch Ablegung
der drei feierlichen Gelübde noch besonders verpflichteten, hießen regulierte Chor-
herren oder Augustiner-Chorherren. Durch die Ablegung der feierlichen Ordens-
!) Die Ableitung des Namens ist dunkel, vielleicht von scheffe = Schöffe. A.a. O. 17, S. 13 Anm.1.