Schiffenberg
Der Prozeß zwischen den beiden Konventen des Schiffenbergs fällt in die
Zeit der Mißwirtschaft und des Niederganges. Um die Wende des 12. Jahrhunderts
mochte das Kloster seinen Höhepunkt erreicht haben. Es hatte seine Güter stattlich
vermehrt und genoß verdientes Ansehen, wenn wir auch dem Umstand, daß seine
Pröpste häufig als Schiedsrichter zu Rate gezogen wurden, kein allzugroßes
Gewicht beilegen dürfen. Das Gleiche war auch bei anderen Stiften und Klöstern
der Fall, denn die Geistlichkeit war nun einmal Trägerin der höheren Bildung
und Kennerin des Rechts. Die ruhigen Verhältnisse änderten sich aber mit dem
Vorrücken des folgenden Jahrhunderts. Hatte schon Propst Hartmut, als er das
Kämmereramt errichtete, durchblicken lassen, daß im Schoße des Konvents
nicht alles war, wie es sein sollte, und hatte er zugleich eine strengere Ordnung
eingeführt, so offenbarte der Spruch der Gießener Schöffen die Mißwirtschaft
in der Vermögensverwaltung, die den Eingeweihten längst bekannt war, aller
Welt. Mußte doch Pfalzgraf Wilhelm von Tübingen als Vogt bereits im Jahre 1245
der Verschleuderung von Klostergut entgegentreten. Der zunehmenden Ver-
schuldung zu steuern, mußten Güterverkäufe vorgenommen werden, bis nach
der Übernahme der Vogtei durch Landgraf Heinrich plötzlich im Jahre 1278 eine
Art Verwaltungskommission von zwei Weltlichen und einem Geistlichen erscheint,
deren Einrichtung vielleicht als ein Reformversuch des Landgrafen betrachtet
werden darf. Der Tätigkeit dieser provisores, wie sie in der Urkunde genannt
werden, ist es zu danken, wenn sich die Vermögensverhältnisse des Klosters wieder
hoben und seit dem Ende des 13. Jahrhunderts in ihnen eine unverkennbare
Stetigkeit der Besserung wahrzunehmen ist.
Trotz dieser augenscheinlichen Besserung schritt Erzbischof Balduin von Trier
im Jahre 1323 zur Aufhebung des Klosters, oder richtiger zu seiner Einverleibung
in den Deutschen Orden. Die Urkunde, durch die er dies tat!), fließt über von
Beschuldigungen gegen die Brüder. Und wenn wir auch vieles als übertrieben
ansehen dürfen, so bleibt doch noch genügend Grund, die Zustände nicht als ideale
zu betrachten, denn die gerügten Gebrechen finden sich zu jener Zeit im regulierten
Klerus durchaus verbreitet, wenn nicht allgemein. Kalbfuß?) ist der Ansicht, daß
das Kloster nicht sowohl der Zerrüttung seiner inneren und äußeren Verhältnisse
als vielmehr „der bewußten Erwerbspolitik des Deutschen Ordens“ zum Opfer
gefallen ist. Darin liegt etwas Wahres, dennoch darf auf der anderen Seite nicht
übersehen werden, daß bei der mangelnden Organisation der Augustiner jener Zeit?)
das Kloster eine sehr selbständige Körperschaft bildete, der es an einer dauernden
oder regelmäßigen Beaufsichtigung fehlte, während es als Glied des Deutschen
Ordens nur einen Teil eines festgefügten Ganzen darstellte und einer ständigen
Aufsicht durch die Ordensoberen unterlag.
Der Deutsche Orden war wie die Templer und Johanniter, an deren Statuten
er die seinigen anlehnte, eine Frucht der Kreuzzüge. Nach dem Untergange der
1) Wyß II, 447.
:) A,2. 0. Bd.18,S.14.
°) Erst dreizehn Jahre nach der Einverleibung Schiffenbergs schrieb Benedikt XII. für den Augustiner-
nn jährlicher Kapitel vor und teilte ihn zu diesem Zweck in Provinzen. Heimbucher