Anlässe
zu den
Umbauten
der Kirche
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zu suchen, bei denen die Vorlagen wirklich nichts weiter als Verstärku ngen sind.
Wir finden Vorlagen, die man mit denen von Großenlinden in Vergleich setzen
könnte, nur in Frankreich, z. B. bei den Kirchen Notre Dame zu Poitiers und
S. Jouin de Marne aus spätromanischer Zeit (abgebildet bei Hamann, Deutsche
und französische Kunst im Mittelalter, S.8 und 97, N. D. zu Poitiers auch bei
Dehio und v. Bezold, Taf. 117 und 249). Dort sind die Ecken verstärkt durch
mehrfache Halbsäulenvorlagen nach vorn und nach den Seiten. Die Vorlagen
Lragen ein offenes Geschoß, das in Poitiers rund ist und mit spitzem Kegel gedeckt,
in S. Jouin de Marne achteckig mit achteckiger Pyramide; es liegt bei beiden
Kirchen ungefähr in Traufenhöhe des Langhauses und ist nur von dessen Dach-
raum aus zugänglich. Diesem offenen Geschoß aus Stein würde in Großenlinden
das runde und mit einem Kegel abgeschlossene und nur vom Dachraum zugängliche
Fachwerkgeschoß entsprechen. Es wäre also hier der formal bis ins kleinste durch-
gebildete Werksteinbau der Franzosen in die wuchtigere deutsche Bauweise aus
Bruchstein und Holz umgesetzt. Auch die vier achtseitigen Ecktürme am Westbau
von Le Dorat (D. u. v. B., Taf. 252) können herangezogen werden.
Kehren wir zu der Annahme der Nachahmung ehemaliger, an gleicher Stelle
stehender Treppentürme zurück, so bietet die Kirche S. Gilles (Grundriß bei D.
u.v.B., Textband I S. 384), die Hamann wegen der Portalskulpturen herange-
zogen hat, einen Vergleich. Sie hat an der Westseite rechteckige Eckvorlagen,
die Wendeltreppen in sich bergen. In Deutschland finden wir in romanischer Zeit
Treppentürme zu beiden Seiten eines Westbaues häufig, in nächster Nähe auf
dem Schiffenberg. Absonderlich ist aber in Großenlinden die Übereckstellung. Sie
kommt auch sonst vereinzelt vor, schon in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts
am Dom in Trier, ferner zu Freckenhorst in Westfalen, bei S. Adelphi zu Neuweiler
im Elsaß (Dehio u. v. Bezold, Taf. 229), und schließlich in späterer Zeit zu Berg
in Niederbayern (Kunstdenkm. Niederbayern II, B.A. Landshut, 1914), wo sie,
sehr schlank, den Westgiebel der Kirche einrahmen. Hier führen die Treppen zu
einer tiefen Westempore. Erbauungszeit 1. Hälfte 15. Jhdt.
Welche Verhältnisse mögen nun zu den vielfachen Veränderungen, besonders
zu den beiden großen Umbauten „um 1130“ und „um 1230° Anlaß gegeben
haben? Die Beantwortung wäre Sache des Geschichtsschreibers, doch fehlt es
an schriftlicher Überlieferung. Aus dem, was oben in dem Versuch einer Bau-
geschichte gesagt wurde, und aus den zugehörigen Grundrißzeichnungen können
wir entnehmen, daß „um 1130“ eine ausgesprochene Nonnenkirche geschaffen
wurde, wie am besten aus dem Vergleich mit Freckenhorst hervorgeht: West-
empore mit Treppentürmen, Ecktürme zwischen Chor und Querhaus, in deren
südlichem die Äbtissin (wie in Freckenhorst) ihren Sitz gehabt haben könnte.
Ob damals schon ein Eingang im Westen geschaffen wurde, wissen wir natürlich
nicht, in Freckenhorst bestand keiner bis in die Mitte des 19. Jhdts.
Das Ergebnis des Umbaues ‚um 1230“ ist eine Pfarrkirch e: Eine große
Halle ist entstanden durch Vereinheitlichung des Raumes, die Westempore ist
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