Full text: Vorbuddhistische Zeit. Die hohe Kunst: Malerei und Bildhauerei (Band 1)

     
   
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
   
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
    
102 Hanzeit 
Körper in den Raum gezwänet und der Hals schlangenartig verlängert. Von 
einem Drachen werden die Erfinder dieser Goldplatten kaum etwas gewußt haben. 
Andererseits scheint dieses Vorbild benutzt zu sein, wenn später einzelne Drachen 
Hörner aufgesetzt erhalten und das Gegenüber von aufsteigenden Drachen dar- 
gestellt: wird. 
Ein ganz andres Vorbild lassen die phantastischen ‚‚Drachenfiguren“ auf 
den Steinreliefs (Abb. 30) vermuten. Wahrscheinlich waren es einst galoppierende 
Löwen auf den Dolchklingen zu Mykenä, die hier zu ‚Drachenpferden“ des 
Himmelswagens umstilisiert sind. 
Eine neue Form entsteht, als der Delphin der Römer (Abb. 72) und vielleicht 
manche andere, inzwischen verloren gegangene Phantasiegestalt in Fisch- und 
Schlangenform nach China kam. Damals hören wir zum ersten Male von 
einer realistischen Darstellung; die Schuppen wurden naturgetreu nachgebildet. 
Wenn von kupfernen Stangen auf den Dächern gesprochen wird, an denen sich 
Drachen entlang schlängeln (S8. 73), so dürfte es sich nicht um heutige Drachen- 
tiere mit dem Alligatorenleib und den Klauen handeln, sondern um fisch- oder 
schlangenartige Phantasiegebilde, die von den Römern oder von den asiatischen 
Mischvölkern übernommen waren. Damals erst kam der Fabelfisch auf, der noch 
heute eine beliebte Dachverzierung in China und Japan ist, aber in andern 
Techniken und für andere Zwecke keine Verwendung fand (Abb. 72). 
Auf den Steinreliefs finden sich zahlreiche, sicher fremdländische Phantasie- 
tiere, die in der späteren Kunst wieder verschwinden, aber noch fehlt die klassische 
Gestalt des Drachen. Es scheint, als wenn es erst den großen Malergenies der 
Tangzeit gelungen ist, den philosophischen Spekulationen der Weisen die künst- 
lerische Ausdrucksform zu geben. Erst dann wird das Drachenbild mit 
dem sich ringelnden Schlangenleib, mit den Alligatorschuppen, mit den fünf- 
klauigen Reptilfüßen und mit dem kamelartigen Maul zum Kanon erhoben und 
als das höchste Problem -für die künstlerische Gestaltungskraft aller folgenden 
Zeit beibehalten. 
Dem Drachen, als Geist des Wassers und der Wolken, ist der Tiger 
als Geist der Berge und der Erde gegenübergestellt. Löwen waren im Östen 
unbekannt und wurden ausschließlich als stilisierte Fabeltiere den fremdländischen 
Vorbildern nachgeformt. Dagegen kamen Tiger vor Jahrhunderten vor. Wir 
finden sie in modernerer Zeit als König der Tiere, in bunten Farben gemalt, aber 
als Symbol der irdischen Kraft meist in schwarzer Tuschzeichnung. Drachen und 
Tiger sind als Gegenstücke von fast allen größten Künstlern in China und Japan 
gemalt. Es ist ein Vorwurf, der so recht dem philosophierenden Geiste der Dichter- 
Maler entsprach. 
Wie bei den Drachen ist auch die Tigergestalt ursprünglich in mißver- 
standener Übertragung nicht nach der Natur geschaffen. Die Skythen haben 
häufig den Tiger, meist in lebendiger Bewegung, mit seinem angefallenen Opfer 
zusammen dargestellt, aber stets in einer oft schwer erkenntlichen Stilisierung. 
Derartige Kampfszenen der Tiger sind in China unbekannt, ein Beweis dafür, 
daß der Chinese nicht den Tiger in seiner Blutgier gekannt hat. 
Auf Töpfereien der Hanzeit fanden wir den stilisierten Tigerkopf mit 
seinen dreieckigen Ohren als Henkelornament und dem Katzenleib meist im 
Profil mit seitlichem und nach vorn gewendetem Kopfe auf der Fläche ange- 
bracht (Abb. 48—57). Bei den lebensvollen Jagdszenen fehlt der Tiger, er wird 
ausschließlich in typischer Form als Verzierungsornament an beliebigen Stellen 
zwischengefügt. Es war nicht die Niederschrift eines Erlebnisses wie die Jagd, 
sondern die Dekoration mit einem fremden und daher in der Form erstarrten 
Modesymbol. Sicher haben die Künstler der Hanzeit sich nichts anderes
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.