172 Tangzeit (618—960)
ad
diese von den Globetrottern meist als Teufelsgestalten (Abb. 132) bezeichneten
Bilder sehr gute und edle Götter darstellen, deren bewegte Formen aus der älteren
Tradition stammen, und daß ihr Trampeln nicht teuflische Rache an Menschen,
sondern symbolischen Kampf gegen die Laster darstellen soll.
Eigentümlich berühren den Europäer die vielfachen Köpfe und Arme, aber ich
Abb. 134 Frau mit Ball spielend unter Baum, in Tracht der
Tangzeit, ein Teil eines sechsteiligen Wandschirmes; Gesicht,
Hände und Inneres vom Gewand farbig, Bäume und Felsen
wahrscheinlich schwarz, Haarbeutel und Kleider aus Federn
gebildet, die abgefallen, so daß nur Umrißlinien sichtbar;
Zettel mit Datum: 10. August 752; geopfert von Kaiserin
Komyo im 8. Jahrh. an Todaijikloster, jetzt im Kaiserl. Schatz-
haus Shosoin, Nara, Tangzeit
(Aus: Tajima, Selected relies of Japanese art, Bd. XV)
Text 8. 8. 178
kann es verstehen, wenn der
Asiate das gar nicht als etwas
Absonderliches ansieht. Die
Symbole, die der westliche
Künstler als Ornamente oder als
Teile der Komposition hinzufügt,
werden durch die verschiedenen
Köpfe und Arme mit Beigaben in
den Händen symbolisch zum Aus-
druck gebracht. Durch vielfaches
Sehen derartiger Bilder habe ich
mich bereits so daran gewöhnt,
daß mich nicht mehr die Un-
wahrheit der Natur stört, son-
dern daß ich mit Genuß die
Kunst bewundere, mit der dieses
Problem in der asiatischen Skulp-
tur und Malerei meisterlich gelöst
ist. Wenn diese in Europa un-
bekannte Art der Armvermehrung
im Osten keinen Anstoß erregte,
so dürfte die schon oft erörterte
Grundanschauung maßgebend ge-
wesen sein, daß nicht eine natur-
wissenschaftliche Wahrheit ange-
strebt werden soll, sondern eine
möglichst klare Ausdrucksiorm
der Gedanken.
Nachdem wir die einzelnen
Elemente dieses Stiles kennen
gelernt haben, müssen wir sie als
feststehende Tradition hinnehmen
und nicht in ihnen, sondern in
ihrer Verarbeitung das künst-
lerische Moment erforschen. Je
schwieriger diese komplizierten
Vorbedingungen für den Künstler
sind, desto größer ist die Kunst,
ihrer Herr zu werden.
Wie elegant ist der stark
bewegte Linienfluß, der gleichsam
in den Lichtstrahlen sich fortsetzt
und selbst die Blattform der
Gloriole oben verbiegt! Die
Symbole in den Händen sind
nur angedeutet und ordnen sich
durchaus dem Körper unter. Wie