Götterfiguren — Symbole — Freskomalerei — Beginn der Landschaftsmalerei 173
graziös formen sich die Arme und wie vortrefflich schließt der gemeinsame
Ansatz die Schultern zusammen! Auch das Gesicht hat etwas Weiches und
Angenehmes. Vor allem empfinden wir trotz der vielen Gesichter und Arme
einen einheitlichen, gemeinsamen Organismus, und gerade dieses Moment setzt ein
sorgfältiges Studium der einzelnen Gliedmaßen in der Natur voraus. An der
naturalistischen Durchführung und an der weichen Linienführung können wir
den besten Stil der Tangzeit erkennen. Schon wenige Jahrhunderte!) später werden
die Glieder übertrieben verrenkt, die Füße erhalten jene krampfhaften Verzerrungen,
wie sie Hoksai in Japan noch im letzten Jahrhundert gezeichnet hat, die Augen
sind hervorgequollen, oft verdoppelt, die Symbole werden aufdringlich in Einzel-
heiten wiedergegeben, reicher Schmuck überhängt die Figur, die Flammen-
strahlen sind wie aus Leder geschnitten, die Linienführung ist in ein unruhiges
Durcheinander von Kleinigkeiten aufgelöst; die ursprüngliche Einfachheit des
Glaubens ist durch nichtigen Kleinlichkeitssinn und Protzerei bereichert, aber
nicht vertieft. Die Form war geblieben, aber statt der Künstlerhände hatten
Handwerker sie gestaltet. Aus dem mystischen Bezwinger der Sinnenlust ist
ein abergläubischer Zauberspuk geworden.
Die Freskobilder aus der Tangzeit weisen ebenfalls eine elegantere
Ausführung als früher auf (Abb. 133). Auf einem sechsteiligen Wandschirm
begegnen wir zum ersten Male einer landschaftlichen ‚Umrahmung.
Bäume waren bereits früher ornamental verwertet, aber erst jetzt beginnt man
die Menschen in den Raum der Natur hineinzustellen (Abb. 134). Noch sind die
Mittel einfach, indem die freistehende Figur nur dekorativ von einem Baume
umrahmt und der Boden durch einzelne Steinblöcke angedeutet ist, aber der
Baumschlag zeigt ein naturalistisches Streben des Künstlers, wenn auch die
Biegung der Äste sich der Raumfüllung der Fläche anpaßt.
Bei einer Reparatur fand man unter der Stoffspannung einen Zettel mit der
Jahreszahl 752, die vielleicht die Herstellungszeit angibt. Wahrscheinlicher aber
ist es, daß die Bilder vom Festlande importiert waren und damals in Japan die
Montierung ausgeführt wurde. Die Haartracht oder vielmehr die Perücke zeigt
eher chinesisch-koreanischen als japanischen Geschmack; genaue Untersuchungen
über die in Asien so häufig wechselnden Moden der Haarfrisur fehlen leider noch, so
daß wir sichere Schlüsse nicht ziehen können. Jedenfalls muß das Bild spätestens aus
dem 8. Jahrhundert stammen, da es so lange bereits im Kaiserlichen Schatzhause
Shosoin nebst fünf ganz ähnlichen Bildern, die zusammen einen Wandschirm bilden,
aufbewahrt wird. Binyon glaubt in der eleganten Linienführung bereits japanischen
Einfluß zu sehen, aber uns fehlen chinesische Bilder der Tangzeit zum Vergleich,
um hierüber ein Urteil fällen zu können. Es will mir durchaus richtig erscheinen, wenn
die japanischen Kritiker das Bild als koreanisch-chinesisch und als Stil der Tang-
zeit ansprechen. ?)
Die Technik ist eigenartig. Die noch erhaltenen Spuren zeigen, daß die Haar-
beutel und das Kleid aus aufgeklebten Vogelfedern gebildet, dagegen Gesicht
und Hände farbig gemalt waren, während die landschaftlichen Motive wahr-
scheinlich nur in schwarzer Tusche die Umrahmung bildeten. Im Stil der Aus-
führung suchen wir vergeblich nach jener Vollendung der Kunst, die die einzelnen
Teile zu einem einheitlichen Raumgebilde, einem Ausschnitt aus der Natur,
zusammenfügt. Noch steht der Künstler im Banne der Überlieferung. Die
1) z.B. Kokka, Heft 151. 5 Tafeln nach Bildern im Daigo-Tempel Yamashiro, aus
dem 10. Jahrhundert u.s. w.
2) Bijitsu Gaho, Bd. I, Heft 4: wegen Perücke koreanisch. — Tajima, Selected
relics of Japanese art, Bd. XV: Stil der Tang-Zeit. — Alle 6 Bilder im Toyei Shuko, Bd. I.