Perspektive — Signatur Riesenfigur — Li Longmien 211
stament, das mit eingemauerten Lotusblättern aus Bronze bedeckt ist und auf dem
sich die stehende Figur des betenden Shakyamuni erhebt. Sie ist aber nicht, wie schon
1000 Jahre vorher, in massivem Guß hergestellt, sondern aus einem mit Brettern
verschalten und mit Lehm verschmierten Holzgerüst, auf das getriebene Kupferbleche
in der Stärke eines Kartons aufgenagelt sind. Die steife Haltung mit dem manierierten
und unruhigen Faltenwurf in starkem Relief, sowie der geistlose Kopf lassen eine
spätere Ausführung vermuten. Da im 13. Jahrhundert in Japan der’ große Daibutsu
zu Kamakura gegossen ist, so ist anzunehmen, daß auch in China damals die Technik
des Vollgusses (s. $. 135) noch bestanden hat. Vielleicht ist das ursprüngliche
Standbild eingeschmolzen, und es ist später in dieser unsoliden Technik eine Kopie
hergestellt worden. In demselben Tempel befinden sich Reliefs, die Göttergestalten
und viele hundert Heilige darstellen; alles ist in bunten Farben angemalt.
Originale von Malereien aus der Sungzeit sind mehrfach erhalten und noch
mehr Kopien beziehungsweise Repliken oder Schulbilder. Was in Chinas Palästen
aufgespeichert ist, wissen wir nicht, aber Japan hat seine Schätze teilweise publi-
ziert, so daß wir ein ziemlich umfangreiches Material kennen. Allerdings sind
die Namen der großen Meister auf den japanischen Bildern nicht verbürgt, und
wir werden mit Ausnahme einiger Werke das größte Mißtrauen hegen müssen,
denn wahrscheinlich werden es Kopien, oft vortrefilliche Repetitionen oder Nach-
ahmungen sein. Aus ihnen und späteren Bildern von Schülern oder Nachahmern,
die den Stil ihrer Lehrmeister aus der Sungzeit auf den Bildern verzeichnen, können
wir uns ein vielleicht ziemlich richtiges Bild des Sungstiles rekonstruieren.
Merkwürdigerweise sind die in Japan gefeierten Künstler teilweise in China
unbekannt. Es sind offenbar ausgewanderte Maler gewesen, die in Japan ihre
Erfolge erzielten. Andererseits fehlen Originale, die den in China gefeierten
Meistern zugeschrieben werden.
Bilderrollen blieben nur noch für Schilderungen von Jagden, Kriegszügen, bud-
dhistischen und historischen Erzählungen und dergleichen beibehalten, während
sonst das abgepaßte Rollbild allgemein in Aufnahme kam.
Als der größte Maler der Zeit wird LiKunglin gerühmt, der nach dreißigjähriger
Tätigkeit als hoher Staatsbeamter sich 1100 ‚auf seinen Landsitz Longmien zurück-
zog und nach sechs Jahren starb. Nach seinem Ruhesitz nannte er sich Li Longmien
(japanisch: Ririomin), und unter diesem Namen ist er populär geworden. Die Sitte
von Dichtern, Malern, Kalligraphen und Gelehrten, sich nach der Aufgabe ihres
weltlichen Lebens einen Beinamen zu wählen, wird auf einen Philosophen !) aus
dem 4. Jahrhundert v. Chr. zurückgeführt.
Zahlreiche Bilder sind sowohl in Japan als auch in Europa und Amerika
erhalten, die dem Meister Li zugeschrieben werden. Und wenn es auch meist
Kopien in verschiedenen Qualitäten und aus verschiedenen Zeiten sind, so erhalten
wir doch einen Begriff von dem Stile; auch haben wir eine wertvolle Kontrolle
an den Werken des Japaners Cho Densu,?) von dem es bekannt ist, daß er seine
Meisterhand an den Werken von Li Longmien geübt hat.
In seiner Jugend soll Li mit Vorliebe Pferde gemalt haben, aber seine berühm-
testen Werke stellen Menschen und Heilige dar. Er war auch ein Liebhaber und
Kenner alter Kunstsachen, und es wird erzählt, daß er sich von alten Bildern, die er
sah, Kopien machte und eine ganze Sammlung derartiger Skizzen besaß. Erwähnt
werden in der Literatur besonders seine Bilder von 500 Arhats, den Schülern Bud-
dhas, an denen er mehrere Jahre arbeitete. Ähnliche Darstellungen sind es, die am
1) Hirth, Noch einmal die Theekanne des Freiherrn von Gautsch. Wiener Zeit-
schrift f. d. Kunde des Morgenlandes, Bd. XI.
2) Farbige Tafel in Münsterberg, Japanische Kunstgeschichte, Bd.I, Taf. X.