Full text: Vorbuddhistische Zeit. Die hohe Kunst: Malerei und Bildhauerei (Band 1)

   
Einleitung 3 
stets sind es zerstreute Einzelnotizen, denen der innere Zusammenhang der Ent- 
wicklung fehlt. Die alten Schriften der Chinesen und Japaner sind für unsere 
moderne Art der Forschung nur sehr wenig verwendbar; es sind mehr Daten 
über die Künstler als Erläuterungen der Kunst. Der Japaner, der früher niemals 
Vergleichsobjekte mit der Kunst der übrigen Weit kannte, betonte nur die Unter- 
schiede zwischen den Handschriften der einzelnen Künstler, aber er setzte gleich- 
sam als bekannt voraus, was uns am meisten interessiert, die Eigenarten der 
asiatischen Kunst in ihrer Gesamtheit im Gegensatz zu der Kunst in der übrigen 
Welt. Ebenso fehlten ihm alle Anhaltspunkte, um die Beziehungen mit der übrigen 
Welt zu verstehen und die Entwicklung der Kunstströmungen zu erkennen. 
Ich will nicht eine Geschichte der Künstler und ihrer Werke geben, sondern 
eine Entwicklung und Charakteristik der Stile. Ich werde zufrieden sein, wenn 
mein Buch berufeneren Forschern die Anregung gibt, das Einzelne weiter aus- 
zubauen und ein vollständigeres Bild zu schaffen, als es mir möglich war. 
Mein Unternehmen, zum ersten Male alle verschiedenen Einzelstudien zu 
sammeln, die vorhandenen Abbildungsschätze zu ordnen und auf Grund dieses 
umfangreichen Materials, bereichert durch eigene Anschauungen von Originalen, 
in freier Kritik ein einheitliches Gebäude der Kunst zu errichten, erschien gewagt. 
Lange zögerte ich, aber schließlich entschloß ich mich, das Resultat meiner lang- 
jährigen Studien als ersten Versuch einer chinesischen Kunstgeschichte zu ver- 
öffentlichen. Bei dem Fehlen der Vorarbeiten kann meine Arbeit nicht er- 
schöpfend sein; sie ist nicht der Abschlußbau einer jahrhundertalten. Forschung, 
sondern das erste Konstruktionsgerüst einer neu entstehenden, erst auszubauenden 
Wissenschaft. Ich habe mich bemüht, die alten Vorurteile möglichst beiseite 
zu lassen und mit eigenen Augen zu sehen und selbst zu urteilen. 
In den Museumskreisen regt sich das Interesse für Ostasien. In Berlin 
und München, in Paris und London, in New York und Boston sind die Ansätze 
zu guten Kunstsammlungen gemacht, während zugleich die alten Bestände ge- 
sichtet und geordnet werden. Privatsammlungen, besonders in Amerika von 
Freer und Morgan, übertrefien bereits die alten Staatsschätze Europas, und 
allerorten entstehen neue Sammlungen. Noch steht die Universität der neuen 
Strömung kühl gegenüber, und besonders die Lehrer der Kunstgeschichte haben 
den Geist und die Bedeutung ostasiatischer Kunst noch nicht erkannt. Aber 
auch dort sind Ansätze bemerkbar, die auf eine völlige Revision der überlieferten 
Anschauungen hoffen lassen. Woermann in seiner Kunstgeschichte, ebenso wie 
Semrau in der Neuauflage von Lübke haben der asiatischen Kunst ihren Platz 
im Rahmen der Weltkunst angewiesen, und es dürfte jede neue Kunstgeschichte 
diesen Weg weiter ausbauen und vertiefen. Lamprecht hat das große Verdienst, 
in seinem Institut für Kultur- und Universalgeschichte eine besondere Abteilung 
für das Studium der Kultur und Kunst Asiens eingerichtet und somit eine erste 
und bisher einzige Pflegestätte an einer Universität geschaffen zu haben. 
    
   
  
  
  
  
  
  
  
  
   
  
  
   
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
   
  
   
	        
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