Stimmungs-Landschaften — Wasser — Muchi — Tiger 231
voll und wichtig im Leben des Chinesen wie die Zahl drei, während sieben
unheilvoll ist und daher wesentlich bei Trauerzeremonien beachtet wird; neun ist
die Zahl der Erhabenheit. Die wunderbarsten Dinge werden nach diesem
Zahlenschlüssel berechnet und sind daher auch in der Kunst stets bedeutungsvoll.
Ein weiterer Führer unter den Künstlern der südlichen Sungzeit war der
Priester Fa Chang (japanisch: Hojo) aus Wushung, mit dem meist nur bekannten
Beinamen Muchi (japanisch: Mokkei). In Japan gilt Muchi wie ein Sammelname,
unter dessen Flagge sehr viele Schwarzweißmalereien gehen, die sicher nicht von
seiner Hand, auch nicht zu seiner Zeit gemalt sein dürften; auch kann es
sich nicht um Kopien nach seinen Bildern handeln, da der Stil gar nicht dem
des Meisters entspricht. Um an einem Beispiele zu zeigen, wie wenig der japanischen
„Tradition“ zu trauen ist, habe ich eine Reihe Bilder (Abb. 177—195) neben-
einander gestellt, die alle Muchi zugeschrieben werden; moderne Kunstkritiker
in Japan haben bereits ihre Zweifel bezüglich der Echtheit verschiedener Bilder
ausgedrückt. Ich glaube, daß durch den Vergleich der verschiedenen Stile und
Qualitäten am besten der Leser sich ein eigenes Urteil bilden kann.
Muchi war kein Berufsmaler, sondern ein Dilettant, der nach den Berichten
alles malen konnte, was er wollte; die ihm zugeschriebenen Werke zeigen daher
eine überraschende Vielseitigkeit in der Wahl des Sujets. Die chinesischen
Kritiker!) sprechen sehr abfällig über seine mangelhafte Art, während ihn die
Japaner mit besonderer Verehrung feiern. Andere weisen darauf hin, daß sein
Ruf ebenso wie der anderer großer Meister darunter zu leiden hat, daß gewissenlose
Nachahmer seinen Namen unter ihre mittelmäßigen Bilder setzten. Erschwert wird
die Feststellung seines Originalstiles, weil seine Bilder nicht signiert sind, mit
Ausnahme des Triptychons (Abb.182) und des so ganz anders gearteten Vogel-
bildes (Abb.191). Dadie chinesischen Kritiker seine Arbeiten als roh und un-
erfreulich bezeichnen, so weist schon die japanische Kritik darauf hin, daß man
die Echtheit gerade dieser Bilder wegen ihrer vollendeten Meisterschaft und der
weichen Pinselführung bezweifeln würde, wenn sie nicht signiert wären. Welche
Bilder echt sind, welches der eigentliche Stil. Muchis ist, dürfte bei diesen wider-
sprechenden Urteilen kaum feststellbar sein. Ein Bild (Abb. 181) trägt das Siegel
des eifrigen Kunstsammlers Yoshimitsu, des Ashikaga-Shogun von Japan gegen
Ende des 14. Jahrhunderts.
Nach literarischen Angaben war Muchi berühmt in China für die Darstellung
von Drachen, Tigern, Landschaften und Porträts. Er gehörte der südlichen Sungzeit
(1127—1259) an und malte im Stile der südlichen Schule. Im Gegensatz zu den
Meistern der nördlichen Schule, wie Ma Yuan und Hsia Kuei, finden wir bei ihm
eine weichere Linien- und Pinselführung. Besonders die verschwimmenden Tiefen
der Luft- und Wolkenperspektive (Abb. 179—182) sind wundervoll wiedergegeben.
Um diese stimmungsvollen Übergänge zu erzielen, benutzte er ausschließlich die
schwarze Tusche; aber welche Farbenwirkungen und reichen Variationen hat er
erzielt! Seine Kompositionen sind einfach und geben in vertiefter Weise die Seele
der Tiere und Menschen. Nur ein Mann von hoher geistiger Bildung ist fähig, solche
Bilder zu malen, denn es ist nicht die Technik, die den Wert seiner Malereien aus-
macht, sondern die vornehme und durchgeistigte Auffassung.
Beglaubigt für die Zeit der Entstehung ist der sitzende Tiger (Abb. 177), der
von einem Priester noch in der Sungzeit nach Japan gebracht sein soll. Die großen
rollenden Augen sind typisch für die chinesische Darstellung: die Stellung ist natura-
listisch. Die Ausführung, besonders der Hintergrund, zeigt eine mittelmäßige Hand.
1) Giles, 8. 130; dagegen Lob bei: Anderson, Catalogue of Japanese and Chinese
paintings, $.486 und 517, auch Kokka, Heft 177.