Hof- und Feldtiere — Vögel — Chien Shunchü 273
mit besonderer Liebe zu studieren. Nicht mehr werden großzügige Impressionen
in typischen Formen gegeben, sondern mit feinem Pinsel und in lebhaften Farben
die einzelnen Tiere, besonders die von Hof und Feld, in den Zufälligkeits-
bewegungen ihrer Gewohnheiten abgebildet. Li Anchung (bei Anderson
Nganchung genannt) hat Wachteln zwischen den Gräsern des Herbstes (Taf. X, A)
und einen Falken, mit dem erbeuteten Fasan in seinen Fängen über eine weite
Landschaft fliegend (B), gemalt. Wir sehen die einzelnen Federn sorgfältig aus-
geführt, und dennoch sind die Farben sowie die Linien harmonisch zusammen-
gestimmt. Es sind liebenswürdige Illustrationen aus dem Leben der Tiere, die
eines guten, künstlerischen Geschmackes nicht entbehren.
Bilder von Reihern sind seit früher Zeit (Abb. 142) immer wiederholt worden.
Meistens sind sie in typischen Bewegungen dargestellt, entweder in Ruhe auf
einem Beine stehend, meist auf einem Weidenbaum, oder am Ufer, um Fische zu
fangen, oder in Gruppen
(Abb.203). Hier (Abb.236)
sehen wir einen solchen
in einer in der Kunst ganz
ungewöhnlichen Stellung,
indem er die Flügel aus-
breitet, um davon zu
fliegen, aber noch steht
ein Bein auf dem Weiden-
stumpf: eine Moment-
photographie. Tajıma
weist darauf hin, daß der
Vogel im Verhältnis zum
Bilde zu groß gemalt
ist. Der Baumstamm im
Schnee, der freie Raum
über dem Vogel, der Aus-
gleich der Farbenwerte ist
der guten Tradition ent-
lehnt, aber die ge-
suchte Bewegung und Abb. 237 Ratten in einer Melone, in Tönen, etwa 30 em hoch, von Chien
die kleinliche Durch- Se
führung der Federn zeigt
den neuen Stil.
Chien Shunchü oder Chien Hsüan (japanisch: Sen Shunkyo) war ebenfalls
aus Chekiang gebürtig. Wir wissen von seinen Lebensdaten nichts anderes, als daß er
um 1260 Kandidat des Zivildienstes wurde. Er hat sich aber nicht, wie sein Freund
und Kollege Chao Mengfu, den siegreichen Mongolen angeschlossen, sondern führte
bis an sein Ende ein einsames Wanderleben, ausgefüllt mit Dichten und Malen,
Die zahlreichen Biographien der Maler lassen immer — wie wohl bei
allen Künstlern der Welt — zwei Arten von Lebensführung erkennen. Entweder
sind die Künstler Hofbeamte, Mitglieder der Akademie, erfolgreiche Tagesmaler
oder aber freie Naturen, die alle Ämter ablehnen und am ungebundenen Wander-
leben ihre Freude haben. Die Akademiker und die Bohemiens!
Von Chien wird erzählt, daß er zum Malen stets den Stimulus des Weines
gebrauchte, da erst, „wenn er anfing, trunken zu sein, Geist und Hand zusammen-
wirkten“. Aber in seinen Bildern oder wenigstens denen, die ihm zugeschrieben
werden, findet sich nichts, was auf derartige Gewohnheiten hinweist. Nur das
ungewöhnliche Sujet der Ratten in einer Melone (Abb. 237) läßt einen Maler
Münsterberg, Chinesische Kunstgeschichte 18