290 Mingzeit — Periode 1368—1500
der uns an frühe italienische Meister erinnert. Es sind keine philosophischen
Gedanken, keine geistreichen Vortragsweisen, keine Typen einer klassischen Kunst —
aber vornehme Menschen in schlichter Darstellung, aus dem Tagesleben malerisch
zusammenkomponierte Einzelfiguren.
Auf den bunten Bildern von ChouChing aus dem 15. Jahrhundert lernen
wir jene delikate Illuminierungskunst kennen, die in der späteren Zeit immer
beliebter wird und besonders dem Kunstgewerbe als Vorlage diente (Taf. XIV).
Die Bäume füllen den frei gebliebenen Raum dekorativ aus und ergänzen kolo-
ristisch und zeichnerisch die Haupthandlung der Figuren. Aber die raffinierte
Pinselführung und das feine Farbengefühl können nicht die perspektivische
Wirkung, die Lufttönung, die Naturstimmung und die geistige Vertiefung ersetzen.
Die Bilder wirken flach und erscheinen unserem europäisch geschulten Auge viel
fernerstehend als die Bilder der früheren Zeit.
Es ist der Beginn jenes konventionellen dekorativen Verzierungs-
stiles, der auf allen Gebieten des Kunstgewerbes tausendfach wiederholt wurde
und auch in Europa in der Rokokozeit einen starken Einfluß erlangte. Die
seelenvollen Schwarzweiß-Impressionen und die fein getönten Bilder, die stimmungs-
vollen Landschaften und die lebendigen Tierbilder lernte man in Europa nicht kennen,
sondern nur die in diesem Stile ausgeführten Handwerkerbilder derspäten Dekadenz-
zeit. Es ist daher kein Wunder, daß in Europa eine so ungünstige Meinung über
die chinesische Malerei entstand.
Dem modernen Geiste dieser zierlichen Dekorationsmalerei entsprechend wurden
auch die Motive geistloser und einfacher. Das Einfädeln von Nadeln bei Abend (Abb. 253),
das Abbrennen von Feuerwerk (Taf. XIV, B) oder ähnliche harmlose Familienszenen
dürften in der klassischen Zeit nicht der Abmalung für wert befunden worden sein.
Neben den großen Fehlern, die diese Bilder aufweisen, darf aber das Schöne nicht
übersehen werden. Wie die Farben in reicher Palette in feinster Kolorierungabgestimmt
und auf die Fläche verteilt sind, ist bewunderungswürdig. Auf der Wasserpartie
(Taf. XIV, A) sind die Boote völlig verzeichnet, der Baum und das Schiff un-
natürlich angeordnet, die Menschen sitzen, wenn auch in vornehmer Gelassenheit,
nur wie Puppen ohne inneres Leben. Wasser und Wolken sind nicht beachtet,
aber die zierliche Ausführung der vielen Einzelheiten, der violette Ton auf dem
Zeltdach des Fürstenbootes als koloristischer Mittelpunkt, das wenige Rot bei
den Figuren und dem Siegel, die dunklen Farben des Vordergrundes, der goldige
Ton als zusammenfassender Hintergrund, das alles ist wundervoll gemacht und
zeigt die Meisterhand eines anmutigen Rokoko.
In dieser liebevollen Kleinmalerei ist auch das Bild des Gottes der Literatur
(Tat. IX, C) ausgeführt. Wie koloristisch wirkt das festliche, rote Staatsgewand
mit schwarzer Kappe gegen das weiße Pferd mit roter Quaste an der Nase und
daneben der Diener im dunklen Gewande des niederen Standes! Wie elegant ist
die Verkürzung des Schimmels, und mit welcher unendlichen Geduld sind alle
Einzelheiten, wie die Muster auf dem gelackten Sattel und den Kleidern, aus-
geführt! Aber trotz der vielen Kleinarbeit, wie viel größer und vornehmer wirkt
das daneben abgebildete (Taf. IX, B) Kaiserporträt in seiner einfachen Art! Und
dieser elegante, nach neuester Mode gekleidete, vornehme Herr soll einen Gott
darstellen! Hatte man in der Sungzeit den geistigen Ausdruck des Gesichtes
fast ausschließlich betont und die Kleidung und alle sonstigen Beigaben in flüch-
tiger Skizze nur angedeutet, so sind jetzt die modische Tracht und die äußeren
Abzeichen von Reichtum und Vornehmheit dem Maler am wichtigsten geworden.
Statt des Geistes ist die äußere Form gemalt. Der Glaube, der früher das Leben
des Menschen ausfüllte und bestimmte, ist zu einem Aberglauben, zu einer äußer-
lichen Gesellschaftsform gestaltet.