Mandschustil — Kanon — Pflanzenstudien — Menschengruppe 3921
Jede Jahreszeit, jede Pflanze hat ihre bestimmte Formation, und jede Ab-
weichung von der Regel würde als unfein und unkünstlerisch verurteilt werden.
Wir hatten gesehen, daß Tai Wenchin (8. 283) von der Akademie gewiesen wurde,
weil er einen Angler in rotem Gewande gemalt hatte. Dieser akademische Zopf,
der immerhin eine moralische Entschuldigung hatte, da das rote Kleid eine Art
Rangabzeichen der hohen Beamten war — und wir doch auch keinen Angler in
Generalsuniform malen würden —, war selbst auf Blumen und Gräser ausgedehnt.
Alles wird in feste Regeln der Konvention gezwungen. Die Pflaumenblüte sym-
bolisiert den Winter, die Päonien den Frühlings, die Lotusblume den Sommer und
das Chrysanthemum den Herbst.
Auch jeder Monat hat seine bestimmten Blumen, die in den einzelnen
Gegenden des Reiches etwas abweichen. Auf einem gelackten Wandschirm !)
sind z. B. folgende Pflanzen als Symbole der Monate abgemalt:
Januar: Wilde Pflaumenblüten — Prunus Mumei
Februar: Pfirsichblüten — Amysdalus persica
März: Päonienbaum -—— Paeonia Mutan
April: Kirsche — Prunus pseudocerasus
Mai: Magnolie — Magnolia Yulan
Juni: Granatapfel — Punica granatum
Juli: Lotus — Nebunbium speciosum
August: Birnenblüte — Pyrus spectabilis
September: Malve — Malva verticillata
Oktober: Chrysanthemum — (Chrysanthemum indicum
November: Gardenie — Gardenia florida
Dezember: Mohn — Papaver somniferum.
Gewisse Tiere sind die ausschließlichen Begleiter von bestimmten Heiligen,
und ebenso erhalten einzelne Blumen religiöse Bedeutung. Der Lotus ist die
eigentliche Pflanze des Buddhismus, während der Taoismus die Kiefer, den
Bambus und die Pflaume bevorzugt. Gleiche Gesetze gelten für die Farben der
Kleider, für die Körperstellung bestimmter Personen, sowie für Barttracht und
Augenbildung.
Kein frei schaffender Geist erfindet die Bilder, sondern ein geschickter
Dekorateur und Techniker formt sie mit den alten Mitteln, die Chinas große
Meister hinterlassen haben. Immer weniger Wert wird auf die Erfindung neuer
Darstellungen gelegt. Das Festhalten alter Zeremonien bis zum gedankenlosen Aber-
olauben spiegelt sich auch in der Kunst wider. Die einst tiefempfundenen
Darstellungen werden schablonenhaft und nüchtern wiederholt.
So sehen wir das alte Motiv einer Menschengruppe unter einem Kiefern-
baume (Abb. 293) neu gemalt. Wie kräftig und ernst hatte Ma Yuan den Baum
in die Fläche verteilt (Abb. 175, 176), und wie graziös war er in der Yuanzeit
wiederholt (Abb. 225); in der Mingzeit wurde er zur geschmackvollen Dekoration
im Raume umgestaltet (Abb. 251), und jetzt sind Baummotive nach Vorlagen-
büchern zusammengestoppelt. Die Stämme wirken flach und ungraziös, und die
Zweige hängen ohne Lebenskraft unnatürlich herab. Die Menschen verraten in
der Gruppierung ein gutes Vorbild, aber wie schwach und charakterlos ist die
Strichausführung; jede Tönung ist weggelassen, die Figuren kleben aufeinander.
Der Vordergrund ist durch einige gleichgültige Steine angedeutet, während jede
Landschaft und jede Luftstimmung und damit die eigentlichen Elemente, die ein
1) Bushell, Chinese art, Bd. II, $. 111. — Abbildung s. Kapitel über Lack, Bd. II.
Münsterberg, Chinesische Kunstgeschichte 21