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Mykenischer Stil — Wolkenmuster 5
motive, aus denen alle anderen abgeleitet sind, anzusehen. Wir können geome-
trische Muster und Tiermotive in stilisierter Form unterscheiden (Abb. 5—7),
während Menschen- und Pflanzendarstellungen völlig fehlen. Unter den Linienmustern
herrscht die Spirale vor, die sowohl in runder als eckiger Form — dem Mäander-
muster — nicht zu verwechseln mit dem klassischen Mäanderband — sowohl als
hervortretendes Muster, als auch als Musteruntergrund über ganze Flächen
(Abb. 5, 6) vorkommt. Die Bandornamente werden mit Tierköpfen - versehen,
die auch an Henkeln in plastischer Form und im Relief sowohl von der Seite
als von vorn dargestellt werden. Noch läßt sich nicht eine Tiergattung er-
kennen, sondern gehörnte Vierfüßlerköpfe oder „Drachen‘“köpfe kommen vor. In
weiterer Stilisierung werden sogar nur die einzelnen Teile des Kopfes abgezeichnet,
bis auch sie zu Aug- und Hornornamenten sich verflüchten (Abb. 7). Die Aus-
führungsarten sind in den folgenden zweitausend Jahren, innerhalb des kleinen
Motivenschatzes, immer wieder umgeformt und daher unendlich vielgestaltig. ')
Daneben werden Zackenlinien, Schuppenmuster und einfachste Linienmuster an-
gewendet.
Am eigenartigsten ist ein
Wolkenmuster in stark ge-
buchteter Form (Abb. 8), das
in seiner Ausführung auf ein
bestimmtes Vorbild hinweist,
das in Mykenä ?) gefunden
worden ist. Dort hat man im
vierten Burggrabe eine Dolch-
klinge ausgegraben, auf deren
breiter Fläche ähnlich gebuch-
tete Wolkenballen zwischen
stilisierten galoppierenden Lö-
wen aus Gold- und Silberein- Abb.8 Deckel mit 4 Ösen, Bronze, graviert mit antiken Orna-
lagen gebildet sind.?) Reichel in gebuchteten Wolkenmustern. Zeichnung nach Wang
a zuerst enf diese Abnlich- u, Pokutulu, gedruckt a Shangdynastie 1766—1122
keit hingewiesen, aber er ver- on)
mutet, daß aus gemeinsamer
älterer Quelle die Form nach dem Westen und Osten gewandert ist. Diese
Annahme ist nicht unmöglich, aber bisher fehlen alle Anhaltspunkte. Wenn ich
von „mykenischer‘“ Kunst spreche, so meine ich damit die Kunstsprache einer
Kulturschicht, die durch die Funde in Mykenä zuerst bekannt geworden ist,
aber über deren zeitliche und räumliche Ausdehnung wir noch nichts Bestimmtes
wissen. Es würde daher auch jede andere Stätte dieses Stiles unter diesen
Namen eingeschlossen sein. In China wird das Wolkenmuster in seiner weiteren
Ausgestaltung auf späteren Steinreliefs (Abb. 28) als fortlaufende Wolkendarstellung
verwendet, aber in der Urform, als gebuchteter Schnörkel, wird es ein sehr be-
deutungsvolles Grundmotiv der späteren Ornamentik.
1) Abbildungen vgl. Kapitel über Bronze in Bd. ER.
2) A. Reichel, Ueber Analogien einiger ostasiatischer Ornamente mit Formen der
kretisch-mykenischen Kunst. Memnon I.
3) Abbildung in Mimsterberg, Westasiatische Einflüsse in der ostasiatischen Kunst.
Kunst und Kunsthandwerk, Wien, XI. Jahrg., 1908, Heft 1, auch Münsterberg, Japanische
Kunstgeschichte, Bd. III, S. 279—282, und Abbildungen zum Vergleich vom Goldbecher
zu Vaphio, 2. Jahrtaus. v. Chr, Nr. 215, Wandmalerei aus Kreta, Nr. 214, Dolchklinge
aus Mykenä, Nr. 216.